BGH, Beschluss vom 11.09.2025, Az. I ZB 6/25
§ 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG, § 50 Abs. 1 MarkenG
Der BGH hat entschieden, dass derjenige der im Nichtigkeitsverfahren über eine Marke die Eintragung der Marke mit der Begründung angreift, sie sei bösgläubig angemeldet worden, die Beweis- beziehungsweise Feststellungslast für das Vorliegen der schlüssigen und übereinstimmenden Indizien trägt , die Voraussetzung für die Annahme des geltend gemachten absoluten Schutzhindernisses sind. Wenn die Umstände, auf die sich der Nichtigkeitsantragsteller beruft, geeignet sind, die Vermutung der Gutgläubigkeit des Markeninhabers bei Anmeldung der Marke zu widerlegen, ist es an dem Markeninhaber, Vortrag zu seinen Absichten bei Anmeldung der Marke zu halten, insbesondere plausible Erklärungen zu den Zielen und der wirtschaftlichen Logik der Anmeldung dieser Marke abzugeben. Das Vorliegen eines relativen Schutzhindernisses (z.B. Verwechselungsgefahr), so der Senat, reiche zur Annahme der Bösgläubigkeit der Markenanmeldung allein nicht aus. Allerdings spräche die Anmeldung eines Zeichens, das einer bekannten Marke hochgradig ähnlich oder mit ihr identisch sei, im Rahmen der Gesamtabwägung aller Umstände des Streitfalls dafür, dass die Markenanmeldung bösgläubig erfolgt sei, wenn weitere Umstände hinzuträten, die dies nahelegen würden. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Beschluss
…
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11.09.2025 durch … beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 15.01.2025 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Gründe:
A. Die Antragstellerin ist eine bekannte italienische Herstellerin von Sportwagen und Formel-1-Fahrzeugen, die bereits in den 1950er Jahren die Marke „Testa Rossa“ für einen Frontmotor-Rennwagen benutzt hat. Von 1984 bis 1991 hat sie das Serienmodell „Testarossa“, von 1991 bis 1994 das Modell „512 TR“ und von 1994 bis 1996 den Sportwagen „F 512 M“ produziert. lnsgesamt wurden mehr als 7.000 Modelle der Serie gebaut.
Der Markeninhaber ist Vorstand der A. AG und seit etwa 50 Jahren in der Spielzeug- und Modellautobranche unternehmerisch tätig.
Seit Jahrzehnten finden juristische Auseinandersetzungen insbesondere wegen Lizenzforderungen aufgrund der Wiedergabe von Herstellermarken auf Modellspielzeug zwischen dem Markeninhaber – teilweise gemeinsam mit dem D. V. der S. e.V. und anderen Herstellern von Spielzeug- und Modellautos – auf der einen Seite und Automobilherstellern auf der anderen Seite statt.
Für die Antragstellerin ist die IR-Wortmarke Nr. 910 752 „TESTAROSSA“ mit Zeitrang vom 17. Oktober 2006 für Waren der Klassen 12 und 28 eingetragen, die unter anderem in der Europäischen Union Schutz genießt. Auf zwei Lö-schungsanträge des Markeninhabers wegen Verfalls vom 14. November 2014 hinsichtlich Waren der Klasse 28 und vom 7. September 2015 hinsichtlich Waren der Klasse 12 hat das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Marke IR 910 752 mit Benennung der Europäischen Union in der Beschwerdeinstanz für sämtliche Waren gelöscht. In beiden Verfahren hat die Antragstellerin Klage zum Gericht der Europäischen Union erhoben mit dem Ziel des Fortbestands des Markenschutzes für die Waren der Klasse 12 „vehicles; structural and replacement parts, components and accessories therefor all in-cluded in this class; engines“ und der Klasse 28 „scale toy land motor vehicles“. Über die Klagen war bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin ist außerdem Inhaberin zweier „TESTAROSSA“ Wort-Bild-Marken, gegen die der Markeninhaber im Jahr 2015 ebenfalls Löschungsanträge wegen Verfalls gestellt hat, nämlich der deutschen Wort-Bild-Marke Nr. 1158448 mit Zeitrang vom 22. Juli 1986 und der international registrierten Wort-Bild-Marke IR Nr. 515 107 mit Zeitrang vom 22. Juli 1987, die jeweils für Waren der Klasse 12 eingetragen wurden. Die nach Widerspruch der Antragstellerin erhobenen, auf Schutzentziehung beziehungsweise auf Einwilligung in die Löschung dieser Marken erhobenen Klagen des Markeninhabers sind – nachdem das Berufungsgericht Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet und dieser hierüber entschieden hat (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 – C-720/18 und C-721/18, GRUR 2020, 1301 = WRP 2021, 29 – Ferrari [testarossa]) – hinsichtlich der Wort-Bild-Marke IR Nr. 515 107 für die Waren in Klasse 12 „automobiles et leur parties“ (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24. Februar 2022 – 20 U 131/17, juris) und hinsichtlich der Wort-Bild-Marke Nr. 1158448 für die Waren in Klasse 12 „Automobile und Teile davon“ (OLG Düs-seldorf, Urteil vom 24. Februar 2022 – 20 U 132/17, juris) rechtskräftig abgewiesen worden.
Der Markeninhaber ist Inhaber der am 27. Dezember 2013 angemeldeten und seit dem 2. März 2015 unter der Nr. 30 2013 070 212 eingetragenen deutschen Wortmarke „Testa Rossa“, um die es im vorliegenden Verfahren geht (nachfolgend als „angegriffene Marke“ bezeichnet), die für folgende Waren Schutz genießt:
Klasse 7: Elektrische Bohnergeräte; elektrische Bohnermaschinen; elektrische Bohnerapparate; elektrische Bohrmaschinen; Brotschneidemaschinen; Bügel-maschinen; Dynamos für Fahrräder; Gemüse-Raspelmaschinen; nicht handbe-triebene Handwerkzeuge; Hochdruckreiniger; nicht handbetriebene Kaffeemüh-len; Kettensägen; Klebepistolen; elektrische Küchenmaschinen; Staubsauger-schläuche; Staubsaugerzubehör zum Versprühen von Duftstoffen und Desinfek-tionsmitteln; Waschapparate; Wäschewaschmaschinen; Waschmaschinen; Waschanlagen für Fahrzeuge; Müll-Zerkleinerer; elektrische Zerkleinerungsge-räte für den Haushalt; Zentrifugen;
Klasse 8: Nicht elektrische Handwerkzeuge aus Eisen; elektrische und nicht elek-trische Epiliergeräte; Messerschmiedewaren; Essbesteck; Etuis für Rasierappa-rate; Farbenspatel; Hämmer; Feilen; nicht elektrische handbetätigte Frisierge-räte; kleine Gartenmesser; Gartenscheren; handbetätigte Gartenwerkzeuge; Ge-müsehobel; handbetätigte Handwerkzeuge; Haarbrenneisen; elektrische und nicht elektrische Haarentfernungsgeräte; elektrische und nicht elektrische Haar-schneidemaschinen; Hacken; Hackmesser; Handbohrer; Handpumpen; Handsä-gen; Harken; handbetätigte Heckenscheren; Hobel; Jagdmesser; Laubsägen; elektrische und nicht elektrische Maniküre-Necessaires; Messer; elektrische und nicht elektrische Nagelfeilen; Nagelhautzangen; elektrische und nicht elektrische Fingernagel-Polierer; Pediküre-Necessaires; Rasier-Necessaires; Ohrlochstech-geräte; Pinzetten; Pinzetten zum Epilieren; handbetätigte Rasenmäher; elektrische oder nicht elektrische Rasierapparate; Rasierklingen; Rasiermesser;
Klasse 12: Fahrräder; Elektrofahrräder; E-Bikes; Elektrofahrzeuge; Fahrradbrem-sen; Zweiradbremsen; Fahrtrichtungsanzeiger für Fahrräder; Fahrradfelgen; Fahrradglocken; Fahrradketten; Fahrradklingeln; Fahrradkörbe; Fahrradlenk-stangen; Fahrradmotoren; Fahrradnaben; Fahrradnetze; Fahrradpedale; Fahr-radpumpen; Fahrradräder; Fahrradrahmen; Fahrradreifen; schlauchlose Fahr-radreifen; Fahrradsättel; Bezüge für Fahrradsättel; Fahrradschläuche; Fahrrad-speichen; alle vorbezeichneten Waren auch für Elektrofahrräder;
Klasse 18: Badetaschen;
Klasse 21: Haushaltsgeräte;
Klasse 28: Angelgeräte; Angelhaken; Angeln; Angelrollen; Angelruten; Angel-schnüre [Vorfächer]; Autorennbahnen; Bobs; Bodybuilding-Geräte; Bögen zum Bogenschießen; Boxhandschuhe; Eislaufstiefel; Ellbogenschützer; Expander; Fahrrad-Heimtrainer; Rollen für Fahrrad-Heimtrainer; Federballspiele; Gesell-schaftsspiele; Golfhandschuhe; Golfschläger; Golftaschen [mit oder ohne Räder]; Hanteln; Haspeln für Drachen; Modell-Fahrzeuge, Modell-Schiffe, Modell-Hubschrauber, Modell-Raketen und Modell-Flugzeuge, alles mit oder ohne elektri-schen Antrieb; Netze; Wurf-Pfeile; Reusen; Rodelschlitten; Roller; Rollschuhe; Saiten für Schläger; Schläger; Schlittschuhe; Schlittschuhstiefel; Schienbeinschützer; Skibeläge; Skibindungen; Snowboards; Schwimmer [Angelzubehör]; Schwimmflossen; Skateboards; Skier; Spielwaren; Surfbretter.
Der Markeninhaber hat neben der angegriffenen Marke sieben weitere „Testa Rossa“-Marken für verschiedene Waren der Klassen 3, 7, 9, 8, 12, 14, 16, 18, 21, 25, 28 und Dienstleistungen der Klasse 37 beim EUIPO und beim Deut-schen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet und eintragen lassen. Zwi-schen den Beteiligten sind weitere Widerspruchsverfahren wegen „Testarossa“- und „Testa Rossa“-Marken anhängig, zum Teil bereits in der Beschwerdeinstanz.
Gegen die Eintragung der angegriffenen Marke hat die Antragstellerin am 1. Juli 2015 zunächst Widerspruch eingelegt sowohl aus einer Benutzungsmarke „Testa Rossa“ mit Zeitrang vom 1. Januar 1957 als auch aus der IR-Marke Nr. 910 752 „TESTAROSSA“ mit Zeitrang vom 17. Oktober 2006.
Am 28. Februar 2017 hat die Antragstellerin sodann die Löschung der an-gegriffenen Marke mit der Begründung beantragt, sie sei bösgläubig angemeldet worden und deshalb nichtig. Zudem hat sie angeregt, die angegriffene Marke aus diesem Grund von Amts wegen zu löschen.
Das DPMA hat den Beteiligten mitgeteilt, dass das Widerspruchsverfahren mit Blick auf den zwischenzeitlich gestellten Löschungsantrag zurückgestellt werde, und die Antragstellerin darüber unterrichtet, dass eine Löschung von Amts wegen nicht in Betracht komme. Dem ihm am 7. April 2017 zugegangenen Löschungsantrag hat der Inhaber der angegriffenen Marke mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Mai 2017, beim DPMA eingegangen am selben Tag, widersprochen.
Das DPMA hat das Löschungsverfahren mit Beschluss vom 27. Septem-ber 2019 zunächst mit der Begründung ausgesetzt, dass für die Frage des schutzwürdigen Besitzstands der Antragstellerin die rechtserhaltende Benutzung der Bezeichnung „Testa Rossa“ maßgeblich sei. Hierfür entscheidungserhebliche Auslegungsfragen seien Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf an den Gerichtshof der Europäischen Union (OLG Düsseldorf, GRUR 2019, 180; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Novem-ber 2018 – 20 U 132/17, juris).
Mit Beschluss vom 23. April 2021 hat das DPMA – soweit noch von Bedeutung – den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der angegriffenen Marke zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerin hat das Bundespatentgericht zurückgewiesen (BPatG, Beschluss vom 15. Januar 2025 – 29 W [pat] 14/21, juris).
Mit der vom Bundespatentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Löschungsbegehren weiter. Der Markeninhaber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin für unbegründet erachtet, da die Voraussetzungen für eine Löschung der angegriffenen Marke wegen bösgläubiger Markenanmeldung gemäß § 50 Abs. 1 MarkenG aF in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF nicht hinreichend dargetan und auch ansonsten nicht feststellbar seien. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Umstände und die Feststellungen des Gerichts könnten die Annahme eines böswilligen Verhaltens des Markeninhabers im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke nicht ausreichend begründen. Eine bösgläubige Markenanmeldung könne mit der erforderlichen Sicherheit weder unter dem Gesichtspunkt der Anmeldung ei-ner Spekulationsmarke noch unter dem Gesichtspunkt der Störung eines schutzwürdigen Besitzstands der Antragstellerin oder des beabsichtigten zweckfremden Einsatzes der Sperrwirkung der Marke als Mittel des Wettbewerbskampfs angenommen werden. Schließlich könne auch bei Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls nicht aus anderen Gründen angenommen werden, dass die Anmeldung der angegriffenen Marke durch den Markeninhaber als rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig anzusehen sei. Es könne insbesondere nicht angenommen werden, dass das Verhalten des Markeninhabers in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet gewesen oder dass es mit Blick auf eine von der Antragstellerin so bezeichnete Fallgruppe einer „funktionswidrigen“ Markenanmeldung als bösgläubig anzusehen sei.
C. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
I. Die ohne Beschränkung auf einen abgrenzbaren Teil zugelassene Rechtsbeschwerde eröffnet dem Rechtsbeschwerdegericht die volle rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses, ohne dass diese auf die Entscheidung der als Zulassungsgrund angeführten Rechtsfragen beschränkt ist (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2023 – I ZB 28/23, GRUR 2024, 216 [juris Rn. 7] = WRP 2024, 329 – KÖLNER DOM, mwN).
II. Das Bundespatentgericht hat eine Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und eine Zurückverweisung der Sache an das DPMA nicht für erforderlich gehalten. Es hat angenommen, zwar liege ein Verfahrensfehler im Sinne von § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG vor, weil das DPMA – ohne das von ihm ausgesetzte Verfahren wiederaufzunehmen und ohne weitere Gelegenheit zur Stellungnahme – unabhängig von dem Ausgang der Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf an den Gerichtshof der Europäischen Union über den Löschungsantrag entschieden und die Bösgläubigkeit der Markenanmeldung verneint habe. Es stehe damit eine Verletzung des Anspruchs der An-tragstellerin auf rechtliches Gehör im Raum. Da die Antragstellerin in der Beschwerdeinstanz die erforderliche Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe, werde jedoch aus Gründen der Verfahrensökonomie von einer Zurückverweisung der Sache an das DPMA abgesehen. Gegen dieses Vorgehen wendet sich die Rechtsbeschwerde nicht.
III. Nach dem Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke am 27. Dezember 2013 ist das im Streitfall maßgebliche Recht durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mit-gliedstaaten über die Marken vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2357) mit Wir-kung ab 14. Januar 2019 novelliert worden. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht.
Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/95/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken konnte jeder Mitgliedstaat vorsehen, dass eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen ist oder im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung unterliegt, wenn und soweit der Antragsteller die Eintragung der Marke bösgläubig beantragt hat. Die Richtli-nie (EU) 2015/2436, mit der die Richtlinie 2008/95/EG neu gefasst worden ist, sieht in Art. 4 Abs. 2 vor, dass eine Marke für nichtig zu erklären ist, wenn der Anmelder die Marke bösgläubig zur Eintragung angemeldet hat; jeder Mitglied-staat kann überdies vorsehen, dass eine solche Marke von der Eintragung aus-geschlossen ist.
Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke seit dem 1. Juni 2004 geltenden § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF und der seit dem 14. Januar 2019 geltenden wortlautidentischen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG die vorstehend genannten Richtlinien in das deutsche Recht umgesetzt und vorgesehen, dass bösgläubig angemeldete Marken von der Eintragung ausgeschlossen sind. Nach der gegenüber der vor-herigen Fassung der Regelung lediglich in der Terminologie an die Richtlinien angepassten und ohne Übergangsregelung mit Wirkung ab dem 14. Januar 2019 geltenden und damit im Streitfall anwendbaren Vorschrift des § 50 Abs. 1 MarkenG (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 – I ZB 42/19, GRUR 2020, 1089 [juris Rn. 24] = WRP 2020, 1311 – Quadratische Tafelschokoladenver-packung II) wird die Eintragung einer Marke auf Antrag für nichtig erklärt und ge-löscht, wenn sie entgegen §§ 3, 7 oder 8 MarkenG eingetragen worden ist.
IV. Das Bundespatentgericht hat mit Recht angenommen, dass die angegriffene Marke nicht wegen ihrer bösgläubigen Anmeldung gemäß § 50 Abs. 1 MarkenG in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF für nichtig zu erklären und zu löschen ist.
1. Für die Prüfung, ob eine Marke bösgläubig angemeldet worden ist, gelten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs folgende Maßstäbe:
Für die Beurteilung der Bösgläubigkeit einer Markenanmeldung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/95/EG und von § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF ist auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Marke abzustellen (zu Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EG] Nr. 40/89 über die Gemeinschafts-marke vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009 – C-529/07, Slg. 2009, I-4893 = GRUR 2009, 763 [juris Rn. 35] – Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli; zu Art. 4 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2008/95/EG vgl. EuGH, Urteil vom 27. Juni 2013 C320/12, GRUR 2013, 919 [juris Rn. 36] = WRP 2013, 1166 – Malaysia Dairy Industries; zu Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EG] Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2025 – C-17/24, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 68] = WRP 2025, 1012 – CeramTec; BGH, Beschluss vom 18. April 2013 – I ZB 71/12, GRUR 2013, 1143 [juris Rn. 15] = WRP 2013, 1478 – Aus Akten werden Fakten; Beschluss vom 17. Oktober 2013 – I ZB 65/12, GRUR 2014, 483 [juris Rn. 22] = WRP 2014, 438 – test; Beschluss vom 15. Ok-tober 2015 – I ZB 69/14, GRUR 2016, 380 [juris Rn. 13] = WRP 2016, 480 – GLÜCKSPILZ). Dass der Zeitpunkt der Markenanmeldung für die Beurteilung der Böswilligkeit maßgeblich ist, schließt eine Berücksichtigung des Verhaltens des Anmelders vor und nach der Markenanmeldung nicht aus. Insbesondere aus dem Verhalten nach Anmeldung können sich Anhaltspunkte für oder gegen eine zum Anmeldezeitpunkt vorliegende Behinderungsabsicht ergeben (EuGH, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 71] – CeramTec; BGH, GRUR 2016, 380 [juris Rn. 14] – GLÜCKSPILZ; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2021 – I ZR 149/20, juris Rn. 26).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine bösgläu-bige Markenanmeldung insbesondere in Betracht, wenn der Anmelder weiß, dass ein anderer dasselbe oder ein verwechselbares Zeichen für dieselben oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen benutzt, ohne hierfür einen formalen Kennzeichenschutz erworben zu haben, und besondere Umstände hinzukom-men, die das Verhalten des Anmelders als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche besonderen Umstände können darin liegen, dass der Zeicheninhaber in Kenntnis eines schutzwürdigen Besitzstands des Vorbenutzers ohne zureichenden sach-lichen Grund für gleiche oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen die gleiche oder eine zum Verwechseln ähnliche Bezeichnung mit dem Ziel der Störung des Besitzstands des Vorbenutzers oder in der Absicht, für diesen den Gebrauch der Bezeichnung zu sperren, als Kennzeichen hat eintragen lassen, oder dass der Zeicheninhaber die mit der Eintragung des Zeichens kraft Markenrechts entste-hende und wettbewerbsrechtlich an sich unbedenkliche Sperrwirkung zweck-fremd als Mittel des Wettbewerbskampfs einsetzt (vgl. BGH, GRUR 2016, 380 [juris Rn. 17] – GLÜCKSPILZ, mwN). Von einer missbräuchlichen Ausnutzung ei-ner formalen Rechtsstellung ist außerdem auszugehen, wenn ein Markeninhaber eine Vielzahl von Marken zu Spekulationszwecken für unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet, hinsichtlich der in Rede stehenden Marken kei-nen ernsthaften Benutzungswillen hat – vor allem zur Benutzung in einem eige-nen Geschäftsbetrieb oder für dritte Unternehmen aufgrund eines bestehenden oder potentiellen konkreten Beratungskonzepts – und die Marken im Wesentli-chen zu dem Zweck gehortet werden, Dritte, die identische oder ähnliche Be-zeichnungen verwenden, mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen (BGH, Urteil vom 23. November 2000 – I ZR 93/98, GRUR 2001, 242 [juris Rn. 34 f.] = WRP 2001, 160 – Classe E). Diese drei vom Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen – Störung des schutzwürdigen Besitzstands eines Vor-benutzers, beabsichtigter zweckfremder Einsatz der Marke als Mittel des Wett-bewerbskampfs und Markenanmeldung zu Spekulationszwecken – sind nicht abschließend. Bei der Beurteilung der Frage der Bösgläubigkeit kommt es stets auf eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls an (BGH, Urteil vom 23. September 2015 – I ZR 105/14, BGHZ 207, 71 [juris Rn. 58] – Goldbären).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig ist, alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung eines Zeichens als Unionsmarke vorliegen, insbesondere die Tatsache, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitglied-staat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemel-deten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware verwendet, die Absicht des Anmel-ders, diesen Dritten an der weiteren Verwendung eines solchen Zeichens zu hin-dern, sowie der Grad des rechtlichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen (zu Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EG] Nr. 40/89 vgl. EuGH, GRUR 2009, 763 [juris Rn. 53] – Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli).
2. Das Bundespatentgericht ist unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe zu dem Ergebnis gelangt, dass der Markeninhaber die angegriffene Marke nicht bösgläubig angemeldet hat.
a) Es hat angenommen, eine bösgläubige Markenanmeldung unter dem Gesichtspunkt der Anmeldung einer Spekulationsmarke sei nicht gegeben.
aa) Als Hauptanwendungsfall einer bösgläubig angemeldeten Spekulati-onsmarke werde die Hortung von Marken ohne Benutzungswillen angesehen. Dieser Tatbestand sei erfüllt, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorlä-gen: Es müsse eine Vielzahl von Marken für völlig unterschiedliche Waren und Dienstleistungen angemeldet worden sein, sich hinsichtlich der Marken kein ernsthafter Benutzungswille des Anmelders feststellen lassen und die Anmel-dung mit der eindeutigen Absicht erfolgt sein, Dritte in rechtsmissbräuchlicher Weise bei der Verwendung gleicher oder ähnlicher Marken zu behindern, insbe-sondere sie mit rechtsmissbräuchlichen Unterlassungs- und Schadensersatzan-sprüchen zu überziehen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
Zwar sei die angegriffene Marke für ganz unterschiedliche Waren der Klassen 7, 8, 12, 18, 21 und 28 angemeldet worden. Der Markeninhaber habe außerdem eine Vielzahl weiterer „Testa Rossa“-Marken für unterschiedliche Klassen beim DPMA und beim EUIPO angemeldet. Allein hieraus könne jedoch nicht per se geschlossen werden, dass die Anmeldung der angegriffenen Marke mit Behinderungsabsicht erfolgt sei.
Dem Markeninhaber könne zudem ein eigener genereller Benutzungswille nicht ohne Weiteres abgesprochen werden. Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang der Markeninhaber sein Lizenzgeschäft überhaupt substantiiert dargelegt habe und inwieweit dies von der Antragstellerin ausreichend konkret bestritten worden sei, begründe ein solches Lizenzgeschäft nicht nur eine rechts-erhaltende Benutzung einer Marke, sondern könne je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein nachvollziehbares, der Annahme einer bösgläubigen Mar-kenanmeldung entgegenstehendes Geschäftsmodell darstellen. Dass noch keine konkreten Geschäftsmodelle oder gar Vertragsvereinbarungen mit Lizenz-nehmern vorgelegt worden seien, sei nach dem Vorbringen des Markeninhabers unter anderem dem vorliegenden Verfahren geschuldet. Dies sei wirtschaftlich sinnvoll und nachvollziehbar. Soweit die Antragstellerin geltend mache, es gebe keinen sinnvollen Lizenzmarkt für die Lizenzierung einer Marke „Testarossa“ oder „Testa Rossa“ für elektrische Rasierer, auf die sich der Markeninhaber berufe, greife dies nicht durch, weil die Verwendung einer früher für Rennautos bekannten Marke („Carrera“) für ganz andere Waren (Arbeitsschuhe, Leuchtmittel, Pinsel und so weiter) am Markt bereits praktiziert werde. Außerdem sei der Markeninhaber unstreitig in der Spielzeugbranche geschäftlich tätig und die angegriffene Marke beanspruche unter anderem Schutz für Waren der Klasse 28. In Bezug auf die in dieser Klasse beanspruchten Spielwaren, insbesondere Modellspielzeug, sei eine Verwendung der angegriffenen Marke auch für den eigenen Geschäftsbetrieb denkbar und unternehmerisch sinnvoll.
Außerdem fehle es an konkreten Anhaltspunkten, dass die Anmeldung mit der eindeutigen Absicht erfolgt sei, Dritte in rechtsmissbräuchlicher Weise bei der Verwendung gleicher oder ähnlicher Marken zu behindern. Der Markeninhaber sei aus der angegriffenen Marke bislang weder gegen die Antragstellerin noch gegen andere Marktteilnehmer vorgegangen. Dass er gegen mehrere „Testarossa“-Marken der Antragstellerin Verfallsanträge beim EUIPO und beim DPMA eingereicht beziehungsweise Verfallsklagen vor deutschen Gerichten erhoben habe, stelle kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Markenanmeldung dar. Vielmehr zeigten diese Klagen beziehungsweise Anträge, dass der Markeninha-ber der Ansicht sei, dass die Antragstellerin ihre „Testarossa“-Marken nicht mehr nutze. Dass die Antragstellerin jedenfalls für „Automobile und Teile davon“ über ein älteres Recht an der Bezeichnung „Testarossa“ verfüge, sei ebenfalls kein Indiz für eine Behinderungsabsicht des Markeninhabers. Kennzeichen Dritter seien grundsätzlich und ohne Hinzutreten besonderer Umstände nur relative Schutzhindernisse, die nicht im Löschungs-, sondern im Widerspruchsverfahren geltend zu machen seien.
bb) Eine bösgläubige Anmeldung einer Spekulationsmarke sei des Weite-ren nicht wegen der „Usurpation einer bekannten Marke“ oder des „Trittbrettfah-rens“ anzunehmen. Es könne offenbleiben, inwieweit das Aufgreifen ehemals be-kannter Bezeichnungen als „Trittbrettfahren“ die Bösgläubigkeit einer Markenan-meldung nach sich ziehe. Vorliegend sei die Antragstellerin Inhaberin älterer Mar-ken, die weiterhin rechtserhaltend benutzt würden, dies stehe jedenfalls hinsicht-lich der Wort-Bild-Marken „Testarossa“ in Bezug auf „Automobile und Teile da-von“ zwischen den Beteiligten rechtskräftig fest. Für die Annahme des absoluten Schutzhindernisses der bösgläubigen Markenanmeldung sei der Bestand einer älteren Marke, sei sie auch weiterhin bekannt, für sich allein nicht ausreichend.
b) Das Bundespatentgericht hat weiter ausgeführt, eine böswillige Marken-anmeldung sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Störung eines schutz-würdigen Besitzstands der Antragstellerin zu bejahen.
Auch wenn ein schutzwürdiger Besitzstand der Antragstellerin an der Be-zeichnung „Testarossa“ jedenfalls für die Waren „Automobile und Teile davon“ zugrunde zu legen und zudem davon auszugehen sei, dass der Markeninhaber die (klanglich) identische Marke „Testa Rossa“ in Kenntnis dieses Besitzstands teilweise, nämlich (jedenfalls) hinsichtlich eines Teils der Waren der Klasse 12 wie beispielsweise Fahrräder, für verwechselbar ähnliche Waren angemeldet habe, könne bei Gesamtwürdigung der Umstände des Falls nicht mit hinreichen-der Sicherheit festgestellt werden, dass der Markeninhaber ungerechtfertigt mit Störungs- oder Behinderungsabsicht in diesen Besitzstand eingegriffen habe. Daher fehle es an den weiteren eine Bösgläubigkeit begründenden Umständen.
Eine Störungs- oder Behinderungsabsicht ergebe sich weder aus den Rechtsstreitigkeiten, die der Markeninhaber mit verschiedenen Automobilherstel-lern geführt habe, noch aus der fehlenden Vorbenutzung des Zeichens durch den Markeninhaber. Die von der Antragstellerin angeführte Bekanntheit der Marke „Testarossa“ für Sportwagen und die von ihr in diesem Zusammenhang vorge-tragenen Aspekte seien nicht geeignet, mit der erforderlichen Sicherheit von einer Anmeldung der angegriffenen Marke mit dem Ziel der Störung des Besitz-stands der Antragstellerin auszugehen. Vielmehr könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Anmeldung in erster Linie für die eigene wirtschaftliche Tätigkeit des Markeninhabers, nämlich ein künftiges Lizenzgeschäft, erfolgt sei.
c) Das Bundespatentgericht hat weiter angenommen, eine böswillige An-meldung der Marke in der Absicht des zweckwidrigen Einsatzes ihrer Sperrwir-kung als Mittel im Wettbewerbskampf könne ebenfalls nicht angenommen wer-den, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf die subjektive Behinderungs-absicht des Markeninhabers geschlossen werden könne. Eine solche Absicht er-gebe sich weder aus der von der Antragstellerin vorgetragenen öffentlichen Kritik des Markeninhabers an den aus seiner Sicht unberechtigten Lizenzforderungen der Automobilbranche noch aus dem möglichen Ziel des Markeninhabers, bei einer künftigen Verwendung für die diversen beanspruchten Waren, auch im Wege der Lizenzierung, von einer (früheren) Bekanntheit der Bezeichnung „Testarossa“ zu profitieren. Einem solchen Zunutze-Machen der Investitionen ei-nes (früheren) Markeninhabers könne durch die Geltendmachung relativer Schutzhindernisse entgegengetreten werden, sofern deren Voraussetzungen vorlägen. Für die Annahme eines bösgläubigen Verhaltens sei das Profitieren vom guten Ruf einer – auch einer früher oder für andere Waren und Dienstlei-stungen genutzten – Marke eines Dritten ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ausreichend. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausge-gangen werden, dass das Verhalten des Markeninhabers in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung der Antragstellerin oder Dritter und nicht maßgeblich auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet ge-wesen sei.
d) Das Bundespatentgericht hat schließlich ausgeführt, auch über die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten drei nicht abschließenden Fallgrup-pen hinaus vermöge die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht die Annahme einer bösgläubigen Markenanmeldung zu begründen. Der Marken-inhaber habe mit der Markenanmeldung eine nicht zu missbilligende unterneh-merische Logik verfolgt. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Annahme ei-ner bösgläubigen Markenanmeldung ein subjektives Element erforderlich, insbe-sondere eine Behinderungsabsicht. Daran fehle es. Selbst wenn man auf eine von einer Behinderungsabsicht unabhängige „funktionswidrige“ Anmeldung ab-stellen würde, führte dies im Streitfall nicht zur Annahme einer bösgläubigen Mar-kenanmeldung. Die vom Markeninhaber geplante Verwendung der Marke im Wege der Lizenzierung sei nicht als funktionswidrig anzusehen, weil die Marke auch im Falle ihrer Lizenzierung entsprechend ihrer Hauptfunktion, nämlich der Herkunftsfunktion, benutzt werde.
3. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbe-schwerde haben keinen Erfolg.
a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Bundespatentge-richt zutreffend bei den von der deutschen Rechtsprechung gebildeten Fallgrup-pen und bei der Gesamtwürdigung aller Umstände des Streitfalls angenommen, dass die Annahme der Bösgläubigkeit einer Markenanmeldung eine Behinde-rungsabsicht des Markeninhabers voraussetzt. Es hat rechtsfehlerfrei angenom-men, dass der Markeninhaber im vorliegenden Fall keine Behinderungsabsicht hatte. Auch die Annahme des Bundespatentgerichts, selbst wenn man auf eine von einer Behinderungsabsicht unabhängige funktionswidrige Markenanmel-dung abstelle, würde dies im Streitfall nicht zur Annahme einer bösgläubigen Markenanmeldung führen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
aa) Der Begriff der Bösgläubigkeit ist ein autonomer Begriff des Unions-rechts. Er ist angesichts der Notwendigkeit einer kohärenten Anwendung der nationalen Markenregelungen und der Unionsmarkenregelung in gleicher Weise auszulegen (vgl. EuGH, GRUR 2013, 919 [juris Rn. 34 f.] – Malaysia Dairy Industries; EuGH, Urteil vom 29. Januar 2020 – C-371/18, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 73] = WRP 2020, 306 – Sky u.a.). Für die Beurteilung der Bösgläubigkeit ist auch die Absicht des Anmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung zu berücksichti-gen. Die Absicht des Anmelders im maßgeblichen Zeitpunkt ist ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das anhand der objektiven Fallumstände bestimmt werden muss (EuGH, GRUR 2009, 763 [juris Rn. 41 f.] – Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli; GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 57] – CeramTec). Bei der Auslegung des Begriffs „bösgläubig“ ist neben dem Umstand, dass er in seiner üblichen Bedeu-tung im gewöhnlichen Sprachgebrauch eine unredliche Geisteshaltung oder Ab-sicht voraussetzt, der besondere markenrechtliche Kontext, nämlich der des Ge-schäftslebens, zu berücksichtigen. Insoweit sollen die Unionsregelungen im Be-reich der Marken insbesondere zu einem System unverfälschten Wettbewerbs in der Union beitragen, in dem jedes Unternehmen, um die Kunden durch die Qua-lität seiner Waren oder seiner Dienstleistungen an sich zu binden, die Möglichkeit haben muss, Zeichen als Marken eintragen zu lassen, die es dem Verbraucher ermöglichen, diese Waren oder diese Dienstleistungen ohne Verwechslungsge-fahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (EuGH, Urteil vom 12. Sep-tember 2019 – C-104/18, juris Rn. 45 – Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO [STYLO & KOTON]; EuGH, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 74] – Sky u.a.; GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 55] – CeramTec). Eine Markenanmeldung ist bösgläubig, wenn sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergibt, dass der Inhaber einer Marke deren Anmeldung nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder mit der Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke ge-hörenden Zwecken – unter anderem der wesentlichen Funktion der Herkunftsan-gabe – zu verschaffen (EuGH, Urteil vom 12. September 2019 – C-104/18, juris Rn. 46 – Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO [STYLO & KOTON]; EuGH, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 75 und 77] – Sky u. a; GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 56] – CeramTec). Die Bösgläubigkeit des Anmelders ist umfassend zu beur-teilen, wobei alle im jeweiligen Fall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen sind (EuGH, GRUR 2009, 763 [juris Rn. 37] – Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli; GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 57] – CeramTec; BGHZ 207, 71 [juris Rn. 58] – Gold-bären).
Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs ist – wie das Bundespatentgericht mit Recht angenommen hat – dahin zu verstehen, dass eine Schädigungs- oder Behinderungsabsicht hinsichtlich Drittinteressen für die Annahme einer bösgläu-bigen Markenanmeldung erforderlich ist; nicht erforderlich ist allein ein Bezug zu einem konkreten Dritten. Die Rechtsbeschwerde wendet ohne Erfolg ein, selbst wenn es keinerlei negative Auswirkungen auf Dritte gäbe, wäre trotzdem eine funktionswidrige und allein deshalb bösgläubige Anmeldung einer Marke denkbar und deshalb eine Drittschädigungsabsicht nicht erforderlich.
Die Rechtsbeschwerde weist allerdings zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu der Funktion des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts nicht nur ihre Haupt-funktion, das heißt die Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung gegenüber den Verbrauchern, gehört. Vielmehr gehören dazu auch ihre anderen Funktionen wie unter anderem die Gewährleistung der Qualität dieser Ware oder Dienstleistung oder die Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktion (EuGH, Urteil vom 16. Juni 2009 – C-487/07, Slg. 2009, I-5185 = GRUR 2009, 756 [juris Rn. 58] – L’Oréal u.a.).
Die Anmeldung einer Marke in der Absicht, das Zeichen nicht funktionsge-recht zu nutzen, beeinträchtigt bereits ihrer Natur nach Drittinteressen. Die Marke verschafft dem Inhaber ein ausschließliches Recht und führt dazu, dass andere Wirtschaftsteilnehmer das Zeichen für die beanspruchten Waren oder Dienstlei-stungen nicht nutzen können. Die Anmeldung eines Zeichens in der Absicht, es nicht entsprechend den Markenfunktionen zu nutzen, führt deshalb ohne Weite-res zu negativen Auswirkungen für Dritte. Dass sich dies im Streitfall anders ver-hält, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Sie macht im Gegenteil geltend, der Markeninhaber habe bewusst das Ziel verfolgt, sich im Gegensatz zur Antrag-stellerin als sympathischer kleiner „David“ im Kampf mit einem übermächtigen „Goliath“ werbewirksam zu profilieren. Aus diesen Darlegungen und dem Hin-weis, dass der Markeninhaber Rechtsstreitigkeiten mit verschiedenen Automo-bilherstellern führt, geht ohne weiteres hervor, dass die Antragstellerin eine Be-einträchtigung ihrer Interessen und derjenigen anderer Automobilhersteller für möglich hält.
bb) Das Bundespatentgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffe-nen Feststellungen rechtsfehlerfrei eine Behinderungs- oder Drittschädigungsab-sicht des Markeninhabers im Zeitpunkt der Anmeldung verneint.
(1) In Bezug auf die Ablehnung einer Bösgläubigkeit unter dem Gesichts-punkt der Anmeldung einer sogenannten Spekulationsmarke ist das Bundespa-tentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Markeninhaber eine eigene Be-nutzungsabsicht nicht abgesprochen werden könne und es zudem an konkreten Anhaltspunkten dahingehend fehle, dass die Anmeldung mit der eindeutigen Ab-sicht erfolgt sei, Dritte in rechtsmissbräuchlicher Weise bei der Verwendung glei-cher oder ähnlicher Marken zu behindern. In Bezug auf die Verneinung einer bösgläubigen Markenanmeldung unter dem Gesichtspunkt der Störung eines schutzwürdigen Besitzstands hat das Bundespatentgericht eine Störungs- oder Behinderungsabsicht nicht feststellen können und sich in diesem Zusammen-hang mit einer Vielzahl von Umständen befasst. Es hat es nicht für ausgeschlos-sen erachtet, dass die Anmeldung in erster Linie für die eigene wirtschaftliche Tätigkeit des Markeninhabers erfolgt sei. In Bezug auf die Verneinung einer bös-gläubigen Anmeldung der Marke in der Absicht des zweckwidrigen Einsatzes ih-rer Sperrwirkung als Mittel im Wettbewerbskampf hat das Bundespatentgericht das möglicherweise bestehende Ziel des Markeninhabers berücksichtigt, die Marke zu lizenzieren, und darin einen Einsatz der Marke entsprechend ihrer Hauptfunktion als Herkunftshinweis gesehen. Aus demselben Grund hat es auch bei der Gesamtwürdigung aller Umstände des Streitfalls eine Bösgläubigkeit des Markeninhabers verneint. Es hat ausgeführt, das Fehlen konkreter Pläne im Zeit-punkt der Anmeldung korreliere mit dem System der fünfjährigen Benutzungs-schonfrist und sei im konkreten Fall mit Blick auf die andauernden Rechtsstrei-tigkeiten zwischen den Beteiligten nachvollziehbar.
(2) Diese Beurteilung steht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Einklang. Danach reicht es für die Annahme der Bösgläu-bigkeit nicht aus, wenn der Anmelder im Zeitpunkt der Anmeldung der Marke keinen konkreten Willen zur Benutzung der Marke entsprechend ihrer Hauptfunk-tion hat, das heißt zur Benutzung des Zeichens zur Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung. Der Anmelder einer Marke muss zum Zeitpunkt seiner Markenanmeldung oder deren Prüfung weder angeben noch genau wis-sen, wie er die angemeldete Marke benutzen wird; er verfügt über einen Zeitraum von fünf Jahren, um eine tatsächliche Benutzung aufzunehmen, die der Haupt-funktion der Marke entspricht. Zwar kann die Eintragung einer Marke, ohne dass der Anmelder die Absicht hat, sie für die von der Eintragung erfassten Waren und Dienstleistungen zu benutzen, Bösgläubigkeit darstellen. Die Bösgläubigkeit eines Markenanmelders kann jedoch nicht auf der Grundlage der bloßen Feststellung angenommen werden, dass der Anmelder bei der Anmeldung kei-nen Geschäftsbereich hatte, der den von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen entsprach. Eine solche Bösgläubigkeit kann vielmehr nur fest-gestellt werden, wenn es schlüssige und übereinstimmende objektive Indizien für eine unredliche Absicht des Anmelders der betreffenden Marke zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung gibt (vgl. EuGH, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 76 bis 78] – Sky u.a.). Entsprechendes gilt für die übrigen vom Gerichtshof erwähnten Funktionen der Marke. Deshalb kann nur bei Feststellung tragfähiger Indizien angenommen werden, der Markeninhaber habe im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens nicht die Absicht gehabt, die Marke entsprechend ihrer weiteren Funktionen zu nutzen.
(3) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Bundespatentgericht habe nicht festgestellt, dass es dem Markeninhaber im Zeitpunkt der Anmeldung in erster Linie um die Benutzung der Marke als Herkunftshinweis im Wege der Lizenzierung an Dritten gegangen sei, eine Benutzungsabsicht des Markeninhabers nehme nur eine untergeordnete Bedeutung ein, weshalb von einer bösgläu-bigen Markenanmeldung auszugehen sei.
(a) Soweit die Rechtsbeschwerde der Ansicht ist, das Bundespatentgericht habe zu Unrecht die von der Antragstellerin vorgelegte Chronologie der vom Markeninhaber geführten Rechtsstreitigkeiten mit verschiedenen Automobilher-stellern und ihren Vortrag, der Markeninhaber habe versucht, sie werbewirksam auszuschlachten, nicht als ausreichend erachtet, eine funktionswidrige Anmel-dung der angegriffenen Marke anzunehmen, ersetzt sie die tatgerichtliche Wür-digung des Bundespatentgerichts durch ihre eigene, ohne einen Rechtsfehler des Bundespatentgerichts aufzuzeigen.
(b) Ein Rechtsfehler ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Annahme der Bös-gläubigkeit einer Markenanmeldung ist erst gerechtfertigt, wenn das betreffende Verhalten bei objektiver Würdigung der Umstände in erster Linie auf die Beein-trächtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet ist. Die Annahme der Bösgläubig-keit ist allerdings nicht allein durch den eigenen Benutzungswillen des Markenin-habers ausgeschlossen. Vielmehr ist eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 – I ZR 38/05, GRUR 2008, 621 [juris Rn. 32] = WRP 2008, 785 – AKADEMIKS). Das Bundespatent-gericht hat alle Umstände des Streitfalls berücksichtigt und danach nicht feststel-len können, dass eine Behinderung der Antragstellerin das wesentliche Motiv des Markeninhabers bei Anmeldung der angegriffenen Marke gewesen ist.
cc) Die Annahme des Bundespatentgerichts, selbst wenn man auf eine von einer Behinderungsabsicht unabhängige „funktionswidrige Anmeldung“ ab-stelle, würde dies nicht zur Annahme einer bösgläubigen Markenanmeldung füh-ren, lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen.
(1) Das Bundespatentgericht hat angenommen, die vom Markeninhaber geplante Verwendung der Marke im Wege der Lizenzierung sei nicht als funk-tionswidrig anzusehen. Vielmehr stünden derartige Pläne einer künftigen Lizen-zierung mit den markenrechtlichen Grundsätzen in Einklang. Eine Marke werde auch im Fall ihrer Lizenzierung entsprechend ihrer Hauptfunktion, nämlich der Herkunftsfunktion, benutzt. Das Fehlen konkreter Pläne im Zeitpunkt der Anmel-dung korreliere mit dem System der fünfjährigen Benutzungsschonfrist. Es sei im Streitfall mit Blick auf die andauernden Rechtsstreitigkeiten zwischen den Betei-ligten nachvollziehbar.
(2) Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen diese Beurteilung ohne Er-folg mit der Begründung, der Markeninhaber habe eine Absicht zur Benutzung der angegriffenen Marke für alle von ihm angemeldeten Waren und Dienstlei-stungen weder dargelegt noch nachgewiesen. Das Bundespatentgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union der Anmelder einer Marke zum Zeitpunkt seiner Markenan-meldung oder deren Prüfung weder angeben noch genau wissen muss, wie er die angemeldete Marke benutzen wird; er verfügt über einen Zeitraum von fünf Jahren, um eine tatsächliche Benutzung aufzunehmen, die der Hauptfunktion der Marke entspricht. Die Bösgläubigkeit eines Markenanmelders kann daher nicht auf der Grundlage der bloßen Feststellung angenommen werden, dass der An-melder bei der Anmeldung keinen Geschäftsbereich hatte, der den von der An-meldung erfassten Waren und Dienstleistungen entsprach (EuGH, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 76 und 78] – Sky u.a.). Danach kann vom Markeninhaber der von der Rechtsbeschwerde vermisste Vortrag nicht verlangt werden. Gegen die zu-treffende Beurteilung, dass in der Lizenzierung einer Marke deren funktionsge-rechte Verwendung liegt, wendet sich die Rechtsbeschwerde nicht. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
b) Die Rechtsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Bundespatentgerichts, die Antragstellerin treffe die Feststellungslast für das absolute Schutzhindernis der bösgläubigen Markenanmeldung.
aa) Das Bundespatentgericht hat angenommen, wenn die Feststellung des Schutzhindernisses der bösgläubigen Markenanmeldung unter Berücksich-tigung der von den Beteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermit-telten Unterlagen nicht möglich sei, müsse es in Grenz- oder Zweifelsfällen bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben. Umstände, die das Unwerturteil der bösgläubigen Markenanmeldung rechtfertigten, könnten nicht mit der für eine Nichtigerklärung der angegriffenen Marke erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Dies gehe zu Lasten der Antragstellerin, die inso-weit die Feststellungslast treffe. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprü-fung stand.
bb) Die Frage der Beweislast für die ernsthafte Benutzung im Rahmen ei-nes die Löschung einer Marke wegen Nichtbenutzung betreffenden Verfahrens ist keine in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallende Verfahrensbestimmung, sondern in der Europäischen Union einheitlich zu beurteilen (zur ernsthaften Be-nutzung vgl. EuGH, GRUR 2020, 1301 [juris Rn. 76] – Ferrari [testarossa], mwN). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG (jetzt: Art. 19 Abs. 1 und 2 der Richtlinie [EU] 2015/2436) und des Bundesgerichtshofs zu § 49 Abs. 1 MarkenG obliegt es grundsätzlich dem Inhaber der streitigen Marke, die Gegenstand eines Antrags auf Erklärung des Verfalls ist, die ernsthafte Benutzung dieser Marke nachzuwei-sen, weil der Inhaber der streitigen Marke am besten in der Lage ist, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vorbringen zu stützen ver-mögen, dass seine Marke ernsthaft benutzt worden sei (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 2013 – C-610/11, GRUR Int. 2013, 1047 [juris Rn. 63] – Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions [CENTRO-THERM]; Urteil vom 19. Juni 2014 – C-217/13 und C-218/13, GRUR 2014, 776 [juris Rn. 70] = WRP 2014, 940 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]; EuGH, GRUR 2020, 1301 [juris Rn. 79] – Ferrari [testarossa]; BGH, Urteil vom 14. Januar 2021 – I ZR 40/20, BGHZ 228, 226 [juris Rn. 22] – STELLA).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs hat der Markenanmelder außerdem die Tatsachen nachzuweisen, aus denen sich ergibt, dass seine Marke nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2008/95/EG (jetzt: Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie [EU] 2015/2436) und § 8 Abs. 3 MarkenG Unterscheidungskraft infolge Benutzung er-worben hat, weil es sich dabei sowohl im Rahmen eines Anmeldeverfahrens als auch im Rahmen eines Löschungsverfahrens um eine Ausnahme von den Ein-tragungshindernissen handelt. Der Inhaber der streitigen Marke ist am besten in der Lage, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vor-liegen zu stützen vermögen, dass seine Marke aufgrund ihrer Benutzung Unter-scheidungskraft erlangt habe. Dies gilt insbesondere für die zum Nachweis einer solchen Benutzung geeigneten Gesichtspunkte wie Intensität, Umfang und Dauer der Benutzung dieser Marke sowie den für sie betriebenen Werbeaufwand (EuGH, GRUR 2014, 776 [juris Rn. 68 bis 70] – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2021 – I ZB 16/20, GRUR 2021, 1526 [juris Rn. 38] = WRP 2021, 1566 – NJW-Orange).
cc) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, diese für die Feststellungs- be-ziehungsweise Beweislast der rechtserhaltenden Benutzung und der Verkehrs-durchsetzung geltenden Grundsätze müssten auf die Feststellungs- und Beweis-last hinsichtlich der Frage übertragen werden, ob der Markeninhaber die ange-griffene Marke bösgläubig angemeldet habe. Er sei am besten in der Lage, über seine Absichten bei der Anmeldung der angegriffenen Marke aufzuklären und hierfür Beweis zu erbringen. Es sei deshalb nur billig, im Löschungsverfahren den Markeninhaber als darlegungs- und beweisbelastet für seine Motivation bei der Markenanmeldung anzusehen. Damit kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen.
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann eine Bösgläubigkeit der Markenanmeldung nur festgestellt werden, wenn es schlüssige und übereinstimmende objektive Indizien dafür gibt, dass der An-melder der betreffenden Marke zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung die Absicht hatte, entweder in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder sich auch ohne Bezug zu einem konkreten Drit-ten ein ausschließliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu verschaffen (EuGH, Urteil vom 12. September 2019 – C-104/18, juris Rn. 45 – Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO [STYLO & KOTON]; EuGH, GRUR 2020, 288 [juris Rn. 75 und 77] – Sky u.a.). Aus diesen Formulierungen ergibt sich, dass derjenige, der im Nichtigkeitsver-fahren die Eintragung einer Marke mit der Begründung angreift, sie sei bösgläu-big angemeldet worden, die Beweis- beziehungsweise Feststellungslast für das Vorliegen der schlüssigen und übereinstimmenden Indizien trägt, die Vorausset-zung für die Annahme des geltend gemachten absoluten Schutzhindernisses sind. Lassen sich die vom Gerichtshof genannten Indizien nicht feststellen, bleibt es bei der Eintragung der angegriffenen Marke. Hiermit steht die Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union in Einklang, nach der für den Markenan-melder eine Vermutung der Gutgläubigkeit besteht, die bis zum Beweis des Ge-genteils durch den Nichtigkeitskläger fortbesteht (vgl. EuG, GRUR Int. 2013, 144 Rn. 21 und 57 – pelicantravel.com/OHMI [Pelikan]; EuG, Urteil vom 8. März 2017 – T-23/16, BeckRS 2017, 136255 Rn. 45 – Biernacka-Hoba/EUIPO-Formata Bogusław Hoba [Formata]; Urteil vom 14. Februar 2019 – T-796/17, BeckRS 2019, 1388 Rn. 84 – MOULDPRO; Urteil vom 21. April 2021 – T-663/19, MarkenR 2021, 268 [juris Rn. 42] – Hasbro/EUIPO – Kreativni Dogadaji [MONOPOLY]).
Diese Grundsätze zur Feststellungslast gelten entsprechend für die Beweislast im Verletzungsverfahren (EuGH, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 64] – CeramTec). Da der Nichtigkeitsgrund des § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF und § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG nF unionsrechtskonform auszulegen ist, gilt im gegen eine nationale Marke eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren wegen einer bösgläubigen Markenan-meldung nichts Anderes.
(2) Die Rechtsbeschwerde verweist für ihre abweichende Ansicht ohne Erfolg auf die Regelung in § 37 Abs. 3 MarkenG. Danach wird eine Anmeldung nach § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG nur zurückgewiesen, wenn die Bösgläubigkeit ersichtlich ist. § 37 Abs. 3 MarkenG entbindet das DPMA mit Blick auf den Amts-ermittlungsgrundsatz (§ 59 Abs. 1 MarkenG) davon, im Rahmen jeder Marken-anmeldung umfassende Nachforschungen und Recherchen anstrengen zu müs-sen, und beschränkt die Prüfungspflicht auf ersichtliche Fälle. Erkennbar liegt dieser Regelung die Vermutung zugrunde, dass Marken im Regelfall nicht bös-gläubig angemeldet werden. Es obliegt deshalb dem DPMA, die für die gegenteilige Annahme erforderlichen Feststellungen zu treffen (Ströbele in Strö-bele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl., § 8 Rn. 1069). Im Löschungsverfah-ren, das mit der Begründung eingeleitet wird, die Marke sei bösgläubig angemel-det worden, kann grundsätzlich nichts Anderes gelten (Boddien in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl., § 8 Rn. 299a; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering aaO § 8 Rn. 1070 und 1148) mit der Folge, dass es an dem Löschungs-antragsteller ist, diese Vermutung zu widerlegen.
(3) Aus der Senatsentscheidung „NJW-Orange“ ergibt sich nichts Anderes. Der Senat hat dort zwar im zweiten Leitsatz und in Randnummer 39 formu-liert, dass es generell dem Markeninhaber obliegt, im Löschungsverfahren dieje-nigen Umstände nachzuweisen, aus denen sich der (Fort-)Bestand seiner Marke ergibt (GRUR 2021, 1526). Wie sich aus den an diesen Stellen konkret in Bezug genommenen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt, bezieht sich diese Aussage allein auf die Beweislast betreffend die Frage, ob eine eingetragene Marke rechtserhaltend benutzt worden ist, und die Frage, ob ein an sich schutzunfähiges Zeichen infolge Benutzung Unterscheidungskraft erworben und sich in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat.
dd) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde existiert kein allgemei-ner Rechtssatz, nach dem den Markeninhaber immer dann die Beweis- bezie-hungsweise Feststellungslast trifft, wenn er am besten in der Lage ist, den Be-weis für den (Fort-)Bestand der Marke zu erbringen.
(1) Die Rechtsbeschwerde beruft sich in diesem Zusammenhang ohne Er-folg auf die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union „MONOPOLY“. Nach dieser Entscheidung ist der Markeninhaber zu Vortrag zu seinen Absichten bei Anmeldung der Marke gehalten, wenn die Umstände, auf die sich der Nich-tigkeitsantragsteller beruft, geeignet sind, die Vermutung seiner Gutgläubigkeit bei Anmeldung der Marke zu widerlegen. Dann ist es Sache des Markeninhabers, plausible Erklärungen zu den Zielen und der wirtschaftlichen Logik der Anmel-dung dieser Marke abzugeben. Das Gericht der Europäischen Union hat dies damit begründet, dass der Inhaber der angegriffenen Marke am besten in der Lage ist, über seine Absichten bei der Anmeldung dieser Marke aufzuklären und Beweise zu liefern, die es davon überzeugen könne, dass diese Absichten trotz Vorliegens objektiver Umstände rechtmäßig waren (EuG, Urteil vom 21. April 2021 – T-663/19, juris Rn. 44 – Hasbro/EUIPO – Kreativni Dogadaji [MONO-POLY]). Eine Beweis- beziehungsweise Feststellungslast für seine Gutgläubig-keit trifft den Markeninhaber danach erst dann, wenn Umstände festgestellt wer-den, die auf seine Bösgläubigkeit bei Anmeldung hindeuten. Für diese Umstände trägt der Löschungsantragsteller die Beweis- beziehungsweise Feststellunglast.
(2) Die Rüge der Rechtsbeschwerde, der Markeninhaber habe zu dem von ihm mit der Anmeldung der angegriffenen Marke beabsichtigten Geschäftsmodell lediglich unsubstantiiert vorgetragen, basieren auf ihrer unzutreffenden Rechts-ansicht, den Markeninhaber treffe von vornherein für seine fehlende Bösgläubig-keit bei Anmeldung der angegriffenen Marke die Feststellungslast. Die Rechts-beschwerde verkennt, dass es zunächst der Antragstellerin obliegt, Umstände darzulegen und zu beweisen, die Hinweise auf die Bösgläubigkeit des Markenin-habers bei Anmeldung der Marke nahelegen. Solche Umstände hat das Bundes-patentgericht nicht feststellen können.
c) Die Rechtsbeschwerde macht außerdem ohne Erfolg geltend, das Bun-despatentgericht habe den Umstand, dass die Benutzung der angegriffenen Marke es dem Markeninhaber ermöglichen würde, die Wertschätzung der Testa-rossa-Marken der Antragstellerin in unlauterer Weise auszunutzen, zum Anlass nehmen müssen, von einer bösgläubigen Markenanmeldung auszugehen.
aa) Das Bundespatentgericht hat angenommen, der Markeninhaber habe eine vormals zugunsten der Antragstellerin geschützte Bezeichnung, die diese jedenfalls für die Waren „Automobile und Teile davon“ weiterhin rechtserhaltend nutze, für eine Vielzahl von zu den vorgenannten Waren teilweise ähnlichen, teil-weise unähnlichen Waren und Dienstleistungen angemeldet, um von der (frühe-ren oder auch fortdauernden) Bekanntheit der Marke zu profitieren und ohne je-denfalls für die weit überwiegende Zahl der Waren und Dienstleistungen im Zeit-punkt der Anmeldung bereits konkrete Verwertungshandlungen geplant zu ha-ben. Über diese Umstände hinaus seien jedoch weitere die Bösgläubigkeit be-gründende Umstände erforderlich, die das Unwerturteil der bösgläubigen Mar-kenanmeldung rechtfertigten und dieses absolute Schutzhindernis qualitativ von bloß relativen Schutzhindernissen abgrenzten. Derartige besondere Umstände konnten vorliegend, wie ausgeführt, nicht mit der für eine Nichtigerklärung der angegriffenen Marke erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Diese Beur-teilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
bb) Das Bundespatentgericht hat mit Recht angenommen, dass es für die Annahme der Bösgläubigkeit der Anmeldung einer Marke nicht ausreicht, dass ein relatives Schutzhindernis vorliegt.
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die absoluten Schutzhindernisse im Lichte des Allgemeininteresses auszu-legen, das ihnen jeweils zugrunde liegt (vgl. zu Art. 3 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 – C-108/97 und C-109/97, Slg. 1999, I-2779 = GRUR 1999, 723 [juris Rn. 25 bis 27] – Windsurfing Chiemsee [Chiem-see]; Urteil vom 18. Juni 2002 – C-299/99, Slg. 2002, I-5475 = GRUR 2002, 804 [juris Rn. 77] – Philips). Ziel dieser Regelungen ist es vor allem, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering aaO § 8 Rn. 6). Das bei der Prüfung jedes dieser Eintragungs-hindernisse berücksichtigte Allgemeininteresse kann oder muss sogar je nach dem betreffenden Eintragungshindernis in unterschiedlichen Erwägungen zum Ausdruck kommen (zu Art. 7 der Verordnung [EG] Nr. 40/94 über die Gemein-schaftsmarke EuGH, Urteil vom 15. September 2005 – C-37/03, Slg. 2005, I-7975 = GRUR 2006, 229 [juris Rn. 59] – BioID). Der absolute Nichtigkeitsgrund der bösgläubigen Anmeldung der Marke soll sicherstellen, dass die Wirtschaftsteil-nehmer, die die Möglichkeit der Anmeldung einer Marke nutzen wollen, in laute-rer Weise am Wettbewerb teilnehmen. Er zielt somit darauf ab, einen der Anmel-dung innewohnenden Mangel zu ahnden und nicht einen Mangel der Marke selbst (zu Art. 52 der Verordnung [EG] Nr. 207/2009 über die Unionsmarke vgl. EuGH, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 45] – CeramTec).
(2) Das Bundespatentgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass das Vorliegen eines relativen Schutzhindernisses allein nicht zur Annahme der Bös-gläubigkeit der Markenanmeldung ausreicht. Zwar können nach der Rechtspre-chung des Gerichtshofs der Europäischen Union Gesichtspunkte, die zur Feststellung eines relativen Eintragungshindernisses beitragen könnten, für die Feststellung der Bösgläubigkeit des Anmelders relevant sein, ohne dass die Feststellung der Bösgläubigkeit im Zusammenhang mit einem relativen Eintra-gungshindernis die Prüfung erfordert, ob dieses Hindernis in vollem Umfang be-steht (EuGH, Urteil vom 12. September 2019 – C-104/18, juris Rn. 54 und 55 – Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO [STYLO & KOTON]; EuGH, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 59] – CeramTec). Da die Feststellung der Bösgläu-bigkeit der Markenanmeldung eine umfassende Berücksichtigung aller Um-stände des Streitfalls erfordert und dies die einzige Art und Weise ist, auf die eine behauptete Bösgläubigkeit objektiv geprüft werden kann (EuGH, GRUR 2025, 1168 [juris Rn. 57] – CeramTec), kann grundsätzlich für die Annahme der Bös-gläubigkeit einer Markenanmeldung nicht allein darauf abgestellt werden, dass ein Dritter geltend machen könnte, dass ein relatives Schutzhindernis vorliegt. Dies gilt vor allem für diejenigen relativen Schutzhindernisse, die kein subjektives Moment voraussetzen, wie der Fall der Doppelidentität oder der Verwechslungs-gefahr (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MarkenG).
cc) Im Streitfall ist allerdings zu berücksichtigen, dass das hier von der Antragstellerin geltend gemachte relative Schutzhindernis – der Schutz der be-kannten Marke – ebenso wie das absolute Schutzhindernis der bösgläubigen Markenanmeldung nach § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG aF ein auf einer zu missbilli-genden Absicht des Anmelders beruhendes Element enthält. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG kann die Eintragung einer Marke gelöscht werden, wenn sie mit einer angemeldeten oder eingetragenen Marke mit älterem Zeitrang identisch ist oder dieser ähnlich ist, falls es sich bei der Marke mit älterem Zeitrang um eine im Inland bekannte Marke handelt und die Benutzung der eingetragenen Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund „in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde“. Deshalb kann die Anmeldung eines Zeichens, das einer bekannten Marke hochgradig ähnlich oder mit ihr identisch ist, im Rahmen der Gesamtab-wägung aller Umstände des Streitfalls dafür sprechen, dass die Markenanmel-dung bösgläubig erfolgt ist, wenn weitere Umstände hinzutreten, die dies nahe-legen. Solche Umstände hat das Bundespatentgericht jedoch nicht festgestellt.
dd) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, entgegen der An-sicht des Bundespatentgerichts sei die Entscheidung des Gerichts der Europäi-schen Union „Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën“ (EuG, GRUR Int. 2014, 1047) auf den vorliegenden Fall übertragbar mit der Folge, dass von einer bösgläubigen Markenanmeldung ausgegangen werden müsse.
(1) Gegenstand der Entscheidung „Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën“ des Gerichts der Europäischen Union war ein Antrag der Inhaberin prio-ritätsälterer, für Kraftwagen geschützter Simca-Marken auf Nichtigerklärung der Wortmarke „Simca“ wegen bösgläubiger Markenanmeldung. Die Antragstellerin hatte die älteren Marken in den letzten Jahren nicht mehr genutzt. Der ehemalige Inhaber der angegriffenen Marke hatte in Kenntnis der älteren Simca-Marken die Marke „Simca“ angemeldet, ohne zuvor einen Verfallsantrag hinsichtlich der äl-teren Simca-Marken zu stellen. Er hatte die Nutzung seiner Marke bereits durch die Produktion von Fahrrädern aufgenommen. Das Gericht der Europäischen Union hat die Beurteilung der Beschwerdekammer nicht beanstandet, aus den konkreten Fallumständen sei zu folgern, dass es dem Anmelder der Marke „Simca“ in Wirklichkeit darauf angekommen sei, die Wertschätzung der eingetra-genen prioritätsälteren Marken parasitär auszubeuten und daraus Vorteile zu zie-hen, so dass die Markenanmeldung als bösgläubig anzusehen sei (EuG, GRUR Int. 2014, 1047 [juris Rn. 56] – Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën).
(2) Das Bundespatentgericht hat angenommen, auf diese Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union könne sich die Antragstellerin nicht stüt-zen. Der Streitfall unterscheide sich von demjenigen, der der Entscheidung „Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën“ zugrunde gelegen habe. Vorlie-gend sei die Antragstellerin Inhaberin älterer Marken, die weiterhin rechtserhal-tend benutzt würden, wie dies in Bezug auf „Automobile und Teile davon“ zwi-schen den Beteiligten rechtskräftig feststehe. In dem Fall „Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën“ sei die Produktion von Fahrzeugen mit der Bezeichnung SIMCA lange zuvor eingestellt worden, es sei dort zwar eine fortbestehende Be-kanntheit, aber keine rechtserhaltende Benutzung geltend gemacht worden.
(3) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, aus der Rechtspre-chung des Gerichts der Europäischen Union in der Sache „Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën“ müsse für den Streitfall gefolgert werden, dass erst recht von Bösgläubigkeit auszugehen sei.
(a) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Beurteilung des Gerichts der Europäi-schen Union angesichts der in jenem Verfahren festgestellten Umstände zuge-stimmt werden kann. Seine Annahme, die Anmeldung einer Marke sei bösgläu-big, wenn eine ältere identische verfallsreife Marke existiere, der eine Restbe-kanntheit zukomme, und wenn der Anmelder des neueren Zeichens bereits eine eigene Benutzung der Marke aufgenommen habe, steht in Konflikt mit dem Grundsatz, dass Marken nur so lange Schutz genießen, als sie rechtserhaltend benutzt werden (vgl. Weiß, GRUR-Prax 2014, 277; vgl. auch BPatG, Beschluss vom 12. April 2011 – 28 W [pat] 13/10, juris, zur deutschen Wortmarke Simca).
(b) Jedenfalls hat das Gericht der Europäischen Union lediglich ausge-führt, dass die Beurteilung der Umstände des Einzelfalls durch die Beschwerde-kammer rechtlich nicht zu beanstanden sei (vgl. EuG, GRUR Int. 2014, 1047 [juris Rn. 56 und 67] – Simca Europe/HABM – PSA Peugeot Citroën).
(c) Die Beurteilung der Frage, ob die Umstände des Einzelfalls die An-nahme einer bösgläubigen Markenanmeldung rechtfertigen oder nicht, liegt im Wesentlichen auf tatgerichtlichem Gebiet und ist nach allgemeinen Grundsätzen im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüfbar, ob das Gericht einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, nicht gegen Er-fahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen und keine wesentlichen Um-stände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2025 – I ZR 82/24, GRUR 2025, 1088 [juris Rn. 43] = WRP 2025, 1032 – Portraitfoto). Das Bundespatentgericht hat die Umstände des Streitfalls gewürdigt, hat eine Bekanntheit der Testarossa-Marken der Antragstellerin unterstellt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass alle diese Umstände die Annahme der Bösgläubigkeit des Markeninhabers bei der Anmeldung der angegriffenen Marke nicht rechtfertigen. Soweit die Rechtsbeschwerde – auch unter Bezugnahme auf weitere Entschei-dungen des Gerichts der Europäischen Union – der Ansicht ist, dass diese Um-stände das gegenteilige Ergebnis rechtfertigten, setzt sie ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Bundespatentgerichts, ohne einen Rechtsfehler auf-zuzeigen.
V. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Es stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtspre-chung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 [juris Rn. 21] – Cilfit u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43] – Doc Generici; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] – Consorzio Italian Management und Catania Multiser-vizi). Insbesondere ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt, dass die Annahme der Bösgläubigkeit einer Markenanmeldung ein subjektives Element – eine Behinderungsabsicht – des Markeninhabers im Zeitpunkt der Anmel-dung voraussetzt. Zudem ist diese Frage im Streitfall nicht entscheidungserheb-lich, weil das Bundespatentgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, selbst wenn man auf eine von einer Behinderungsabsicht unabhängige funktionswidrige Anmeldung abstellen wollte, könne die Anmeldung der angegriffenen Marke nicht als bösgläubig angesehen werden, weil der Markeninhaber eine ihrer Hauptfunk-tion – der Herkunftsfunktion – entsprechende Benutzung beabsichtigt habe. Ge-klärt ist auch, dass derjenige, der geltend macht, eine Marke sei bösgläubig an-gemeldet worden, hierfür die Feststellungs- beziehungsweise die Beweislast trägt. Dass relative Schutzhindernisse bei der Prüfung, ob eine Marke bösgläubig angemeldet worden ist, berücksichtigt werden können, hat der Gerichtshof be-reits entschieden.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Abs. 2 Satz 1 MarkenG.
Vorinstanz:
BPatG, Beschluss vom 15.01.2025, Az. 29 W (pat) 14/21
BGH, Urteil vom 31.07.2025, Az. I ZR 157/21
§ 69a Abs. 1 UrhG, § 69a Abs. 2 S.1 UrhG
Der BGH hat entschieden, dass eine Cheat-Software, die auf einer Spielkonsole installiert wird und parallel zur Spielesoftware abläuft, und lediglich Daten, die das Spiel beim Ausführen im Arbeitsspeicher der Konsole ablegt, ändert, also nicht den Quellcode der Software berührt, nicht gegen das Urheberrecht, insbesondere nicht gegen § 69a Abs. 1 und 2 S. 1 UrhG verstößt. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2025 durch … für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg – 5. Zivilsenat – vom 07.10.2021 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Klägerin vertreibt als exklusive Lizenznehmerin für ganz Europa P. S. -Spielkonsolen, insbesondere die bis zum Jahr 2014 vertriebene P. S. P. (PSP), sowie Spiele für diese Konsolen (im Folgenden: Spiele, Software oder Computerprogramm der Klägerin), darunter das Spiel „M. A. E. „. Die Beklagten zu 1 und 2 gehören zur Unternehmensgruppe der D. H. Group, die Software entwickelt, produziert und vertreibt, insbesondere Ergänzungsprodukte zu den Spielkonsolen der Klägerin, darunter die Software „Action Replay PSP“ sowie unter dem Namen „T. F.“ ein zusätzliches Eingabegerät für die Spielkonsole PSP nebst Software. Das Gerät „T. F.“ ermöglicht die Steuerung der Spielkonsole durch Bewegung im Raum. Die Beklagte zu 1 hat die Software „Action Replay PSP“ und „T. F.“ entwickelt. Die Beklagte zu 2 hat diese Software vertrieben. Der Beklagte zu 3 ist Director der Beklagten zu 1 und 2.
Die Softwareprodukte der Beklagten funktionieren ausschließlich mit den Originalspielen der Klägerin. Die Ausführung der Software der Beklagten erfolgt dergestalt, dass die PSP mit einem PC verbunden und in die PSP ein Memory Stick eingelegt und mit der Software der Beklagten beschrieben wird. Nach dem Neustart der PSP kann der Nutzer auf der Spielkonsole einen zusätzlichen Menüpunkt „Action Replay“ aufrufen, über den Veränderungen an den einzelnen Spielen der Klägerin vorgenommen werden können. Darunter sind beispielsweise beim Spiel „M. A. E. “ die Optionen „Infinite Turbo“ und „All Drivers available“, die dazu führen, dass künftige Beschränkungen beim Einsatz des „Turbos“ („Booster“) entfallen oder nicht lediglich ein Teil der Fahrer verfügbar ist, sondern auch schon der Teil, der ansonsten erst beim Erreichen bestimmter Punktzahlen freigeschaltet werden würde.
Mit der Software „T. F.“ erhält der Besteller einen Sensor, der an den Headset-Anschluss der PSP angeschlossen wird und die Steuerung der PSP durch Bewegungen der Spielkonsole im Raum ermöglicht. Zur Vorbereitung des Einsatzes des Bewegungssensors ist ebenfalls ein Memory Stick in die PSP einzustecken, wodurch ein zusätzlicher Menüpunkt „T. F.“ mit einer Auswahlliste von Spielen verfügbar wird. Auch hier ermöglicht das angegriffene Produkt, dass während des laufenden Spiels durch eine Tastenkombination ein zusätzliches Menü aufgerufen werden kann, das nicht im Originalspiel vorgesehen ist. Wird dort die Option „F.“ gewählt, entfallen bestimmte Beschränkungen. So kann beispielsweise beim Spiel „M. A. E. “ der „Turbo“ unbegrenzt eingesetzt werden.
Die Klägerin macht geltend, dass die Nutzer mittels der beanstandeten Softwareprodukte der Beklagten in urheberrechtlich unzulässiger Weise die ihren Spielen zugrundeliegende Software umarbeiteten. Hierfür seien die Beklagten verantwortlich. Hilfsweise macht die Klägerin wettbewerbsrechtlich begründete Ansprüche geltend und stützt sich weiter hilfsweise auf Deliktsrecht unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
I. die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland
a. die Software Action Replay PSP, die geeignet ist, auf den Hardwarevarianten PSP 1000, PSP 2000, PSP 3000 und PSP Go eingesetzt zu werden, anzubieten, zu verkaufen, zu verbreiten und/oder anbieten, verkaufen oder verbreiten zu lassen, mit deren Hilfe der Anwender einen Eingriff in auf der Spielkonsole P. S. P. ablaufende Spiele vornehmen kann, der es ermöglicht oder erleichtert, dass die Spiele unter Veränderung der Spielesoftware umgearbeitet werden können,
b. die zu einem Bewegungssensor zugehörige Software T. F., die geeignet ist, auf den Hardwarevarianten PSP 1000, PSP 2000 und PSP 3000 eingesetzt zu werden, anzubieten, zu verkaufen, zu verbreiten und/oder anbieten, verkaufen oder verbreiten zu lassen, mit deren Hilfe der Anwender einen Eingriff in auf der Spielkonsole P. S. P. ablaufende Spiele vornehmen kann, der es ermöglicht oder erleichtert, dass die Spiele unter Veränderung der Spielesoftware umgearbeitet werden können,
c. sowie eine Software wie in a. und b. beschrieben und/oder Lizenzen und/oder Updates für eine solche Software zum Download anzubieten;
II. die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin unter Angabe des Namens und der Anschrift der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und Auftraggeber sowie der Menge und Preise der herge-stellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Waren und Vorlage entsprechender Belege (Angebote, Rechnungen, Lieferscheine und Zollpapiere) in einem chronologisch geordneten Verzeichnis Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der nach Deutschland vertriebenen Produkte gemäß Ziffer I. zu erteilen, und zwar ab Januar 2008;
III. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entstanden ist und noch entsteht, dass die Beklagten die in Ziffer I. beschriebenen Handlungen bege-hen und bereits begingen.
Hilfsweise hat die Klägerin bezüglich der Beklagten zu 1 beantragt, dieser zu verbieten, die im Antrag zu I genannten Handlungen zu unterstützen. Weiter hilfsweise sollten die Beklagten verurteilt werden, die Ermöglichung oder Erleichterung der Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen der Spielkonsole und der Spiele zu unterlassen.
Das Landgericht (LG Hamburg, Urteil vom 24. Januar 2012 – 310 O 199/10, juris) hat die Beklagten zu 2 und 3 nach den Hauptanträgen verurteilt, die Beklagte zu 1 lediglich zur Unterlassung gemäß dem ersten Hilfsan-trag. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben alle Parteien Berufung eingelegt.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klageanträge zu I und zu III bezüglich der Beklagten zu 2 und 3 weiterverfolgt und darüber hinaus beantragt,
I. die Beklagte zu 1 unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland
die Software Action Replay PSP, die geeignet ist, auf den Hardwarevarianten PSP 1000, 2000, 3000 und PSP GO eingesetzt zu werden, sowie die zu einem Bewegungssensor gehörige Software T. F. anzubieten, zu verkaufen oder zu verbreiten, mit deren Hilfe der Anwender einen Eingriff in auf der Spielkonsole P. S. P. ablaufende Spiele vornehmen kann, der es ermöglicht oder erleichtert, dass die Spiele unter Veränderung der Spielesoftware umgearbeitet werden können, oder Updates für solche Software zum Download anzubieten;
II. die Beklagten zu 1, zu 2 und zu 3 zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen darüber, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar durch Vorlage eines Verzeichnisses, aus dem sich ergeben:
a) Namen und Anschrift der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) Liefermengen, Typenbezeichnungen, Artikelnummern, Lieferzeiten und Lieferpreise,
c) die Gestehungskosten einschließlich aller Kostenfaktoren sowie der erzielte Gewinn,
d) die einzelnen Angebote unter Nennung der Angebotsmengen, Typenbezeichnungen, Artikelnummern, Angebotszeiten und Angebotspreise
e) Art und Umfang der betriebenen Werbung, gegliedert nach Werbeträger, Auflagenzahl, Erscheinungszeit und Verbreitungsgebiet sowie
f) Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und gewerblichen Adressaten von Angeboten;
III. festzustellen, dass die Beklagte zu 1 gesamtschuldnerisch mit den Beklagten zu 2 und zu 3 verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entstanden ist und noch entsteht, dass die Beklagte zu 1 die in Ziffer I. beschriebenen Handlungen begeht und bereits beging.
Das Berufungsgericht (OLG Hamburg, GRUR 2022, 483) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen sowie auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihre in der Berufungsinstanz gestellten Klageanträge weiter.
Mit Beschluss vom 23. Februar 2023 (I ZR 157/21, GRUR 2023, 577 = WRP 2023, 595 – Action Replay I) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 bis 3, Art. 4 Buchst. b der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Compu-terprogrammen folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Wird in den Schutzbereich eines Computerprogramms nach Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/24/EG eingegriffen, wenn nicht der Objekt- oder Quellcode eines Computerprogramms oder dessen Vervielfältigung verändert wird, sondern ein gleichzeitig mit dem geschützten Computerprogramm ablaufendes anderes Programm den Inhalt von Variablen verändert, die das geschützte Computerprogramm im Arbeitsspeicher angelegt hat und im Ablauf des Programms verwendet?
2. Liegt eine Umarbeitung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2009/24/EG vor, wenn nicht der Objekt- oder Quellcode eines Computerprogramms oder dessen Vervielfältigung verändert wird, sondern ein gleichzeitig mit dem geschützten Computerprogramm ablaufendes anderes Programm den Inhalt von Variablen verändert, die das geschützte Computerprogramm im Arbeitsspeicher angelegt hat und im Ablauf des Programms verwendet?
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierüber durch Urteil vom 17. Oktober 2024 (C-159/23, GRUR 2024, 1704 = WRP 2024, 1468 – Sony Computer Entertainment Europe) wie folgt entschieden:
Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen ist dahin auszulegen, dass der durch diese Richtlinie gewährte Schutz nicht den Inhalt von variablen Daten erfasst, die ein geschütztes Computerprogramm im Arbeitsspeicher eines Computers angelegt hat und im Ablauf des Programms verwendet, soweit dieser Inhalt nicht die Vervielfältigung oder spätere Entstehung eines solchen Programms ermöglicht.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Klage für zulässig, aber unbegründet erachtet. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stünden die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1, § 69c Nr. 2 UrhG nicht zu. Die Anwendung der Software der Beklagten führe nicht zu einer Umarbeitung der den Originalspielen der Klägerin zugrundeliegenden Computerprogramme. Zwar erfüllten die Spiele der Klägerin die Voraussetzungen eines Computerprogramms gemäß § 69a UrhG. Der Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes eines Computerprogramms gemäß §§ 69a und 69c UrhG seien jedoch die Programmdaten des Objekt- und Quellcodes sowie die innere Struktur und Organisation des Computerprogramms, nicht dagegen sein programmgemäßer Ablauf. Die Software der Beklagten nehme weder eine Veränderung der Programme selbst noch der in den Arbeitsspeicher der PSP hochgeladenen Programmkopien vor, sondern ihre parallelen Befehle veränderten nur die vom Computerspiel im Arbeitsspeicher abgelegten variablen Daten und bewirkten so die Veränderung des Spielergebnisses. Die ursprünglichen Befehle des geschützten Computerspiels blieben jederzeit aktiv und ihre innere Struktur durchgehend unangetastet. Die von der Klägerin vertretene funktionale Betrachtungsweise, wonach unabhängig von der Einwirkung auf den Programmcode oder seiner abgeänderten Vervielfältigung auch dann von einer Umarbeitung auszugehen sei, wenn auf andere Art und Weise in den Programmablauf eingegriffen werde, lasse sich mit dem Schutzgegenstand eines Computerprogramms nach § 69a UrhG nicht vereinbaren. Der programmgemäße Ablauf eines Computerprogramms sei nicht Teil des urheberrechtlichen Schutzes und daher nicht vom ausschließlichen Recht der Umarbeitung gemäß § 69c Nr. 2 UrhG erfasst. Der Urheber eines Computerprogramms habe keinen aus §§ 69a, 69c UrhG ableitbaren Anspruch darauf, dass sein Programm nur in einer Weise genutzt wird, wie er es ursprünglich im chronologischen Ablauf vorgesehen habe, solange das Spiel – wie im Streitfall – auch bei Einwirkung durch Dritte programmgemäß ablaufe und die einzelnen Spielsituationen von der Spielesoftware selbst vorgesehen seien.
Eine von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte unlautere Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG aF und § 4 Nr. 4 UWG liege ebenso wenig vor wie ein deliktsrechtlicher Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbe-betrieb, auf den sich die Klägerin ebenfalls hilfsweise gestützt habe.
Da es im Streitfall an einer Umarbeitung fehle, sei der erste Hilfsantrag, der auf die Verurteilung zur Unterlassung einer auf eine Umarbeitung gerichteten Unterstützungshandlung gerichtet sei, unbegründet. Das mit dem zweiten Hilfs-antrag begehrte Verbot der Ermöglichung oder Erleichterung der Umgehung von Kopierschutzmechanismen der PSP sei ebenfalls nicht auszusprechen, weil die Klägerin nicht vorgetragen habe, dass die angegriffenen Softwareprodukte die Vervielfältigung der geschützten Computerprogramme ermöglichten oder das digitale Rechtemanagement beeinträchtigten.
II. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, durch den Einsatz der Soft-ware der Beklagten werde nicht in den Schutzbereich des Computerprogramms der Klägerin eingegriffen und daher das ihr zustehende Recht der Umarbeitung nicht verletzt. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
a) Gemäß § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG hat der Rechtsinhaber das ausschließ-liche Recht, die Übersetzung, die Bearbeitung, das Arrangement und andere Um-arbeitungen eines Computerprogramms sowie die Vervielfältigung der erzielten Ergebnisse vorzunehmen oder zu gestatten. Der Begriff des Computerprogramms ist in § 69a Abs. 1 UrhG näher bestimmt. Danach sind Computerpro-gramme im Sinne des Urheberrechtsgesetzes Programme in jeder Gestalt, ein-schließlich des Entwurfsmaterials. Der gewährte Schutz gilt gemäß § 69a Abs. 2 Satz 1 UrhG für alle Ausdrucksformen eines Computerprogramms. Ideen und Grundsätze, die einem Element eines Computerprogramms zugrunde liegen, einschließlich der den Schnittstellen zugrundeliegenden Ideen und Grundsätze, sind gemäß § 69a Abs. 2 Satz 2 UrhG nicht geschützt. § 69a Abs. 1 und 2 UrhG dient der Umsetzung von Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/24/EG; § 69c Nr. 2 UrhG setzt Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2009/24/EG in deutsches Recht um. Beide Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes sind mithin mit Blick auf die genannten – wortgleichen – Richtlinienbestimmungen unionsrechtskon-form auszulegen.
b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass eine Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG anhand des Wortlauts, der Ziele der Bestimmung sowie seiner Entstehungsgeschichte zu dem Ergebnis führt, dass zu den urheberrechtlich geschützten Ausdrucksformen eines Compu-terprogramms der Quellcode und der Objektcode fallen, da sie die Vervielfälti-gung oder spätere Entstehung dieses Programms ermöglichen. Dagegen werden andere Elemente des Programms, wie insbesondere seine Funktionalität, nicht durch die Richtlinie 2009/24/EG geschützt. Die Richtlinie schützt auch nicht die Elemente, mittels derer die Benutzer solche Funktionalitäten nutzen, die jedoch keine solche Vervielfältigung oder spätere Entstehung dieses Programms ermög-lichen. Der durch die Richtlinie 2009/24/EG gewährleistete Schutz beschränkt sich auf die geistige Schöpfung, wie sie sich im Text des Quellcodes und des Objektcodes widerspiegelt, und damit auf den buchstäblichen Ausdruck des Computerprogramms in diesen Codes, die jeweils eine Folge von Befehlen dar-stellen, nach denen der Computer die vom Urheber des Programms vorgesehe-nen Aufgaben ausführen soll (EuGH, GRUR 2024, 1704 [juris Rn. 37 f.] – Sony Computer Entertainment Europe). Demgegenüber ermöglicht eine Software, die nur den Inhalt von Variablen verändert, die von einem geschützten Computerpro-gramm im Arbeitsspeicher eines Computers angelegt und von diesem Programm während seiner Ausführung verwendet werden, als solche nicht die Vervielfälti-gung dieses Programms oder eines Teils davon, sondern setzt vielmehr voraus, dass dieses Programm gleichzeitig abläuft. Deshalb stellt der Inhalt der Variablen ein Element dieses Programms dar, mittels dessen die Benutzer die Funktionali-tät eines solchen Programms nutzen, das nicht als Ausdrucksform eines Compu-terprogramms im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG geschützt ist (EuGH, GRUR 2024, 1704 [juris Rn. 51] – Sony Computer Entertainment Europe).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen, die für die unionsrechtskonforme Auslegung der Bestimmungen gemäß § 69a Abs. 1 und 2 UrhG maßgeblich sind, greift die Software der Beklagten nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht in den Schutzbereich der Computerprogramme der Klägerin ein und verletzt damit nicht das ihr zustehende Umarbeitungsrecht gemäß § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG.
aa) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Be-rufungsgerichts entfalten die Softwareprodukte der Beklagten ihre Wirkung, in-dem sie das Laden des Programms in den Arbeitsspeicher unangetastet lassen, aber den Ablauf der Programme durch Veränderung von – dem Spiel grundsätz-lich bekannten – Variablen beeinflussen. Es werden nicht die Befehle im Arbeits-speicher selbst, sondern nur die (variablen) Daten verändert, die die Spielesoft-ware in ihrer Ausführung in dem Arbeitsspeicher ablegt. Auf die Programmbe-fehle der Spielesoftware der Klägerin wirken die Softwareprodukte der Beklagten nicht ein. Diese bleiben jederzeit aktiv und ihre innere Struktur bleibt durchge-hend unangetastet. Lediglich die aus dem laufenden Spiel generierten Daten im Arbeitsspeicher werden verändert. Dies hat zur Folge, dass die Befehle des Spiels auf anderen Befehlsparametern ausgeführt werden als sie bei regulärer Ausführung des Spiels zu diesem Zeitpunkt entstanden wären. Die Befehlspara-meter selbst sind indessen dem Spiel bekannt. Auch unter Einsatz der Software der Beklagten laufen die Spiele also stets wie programmiert ab. Bestimmte im Spiel erzeugte Daten (z.B. der Verbrauch des „Turbos“) werden jedoch im Ar-beitsspeicher durch die Softwareprodukte der Beklagten mit Variablen, die auch das Spiel selbst kennt und interpretieren kann, überschrieben. Dem Programm wird damit ein Zustand vorgespiegelt, der im regulären Spielbetrieb zwar eintre-ten kann und damit programmimmanent ist, allerdings eben nicht bei dem jewei-ligen Spielstand eintreten würde. Beispielsweise fügt die Software der Beklagten dem Spiel keinen Befehl hinzu, der eine „Kollision mit einer Bande“ bewirkt, son-dern beeinflusst lediglich den Zeitpunkt und die Häufigkeit, mit der das Spiel die-sen auch ursprünglich vom Programm umfassten Befehl ausführt.
bb) Kennzeichnend für die Wirkungsweise der Software der Beklagten ist mithin, dass diese vom Nutzer parallel zu den Computerspielen der Klägerin auf der Spielkonsole installiert wird und gleichzeitig mit der Spielesoftware abläuft. Dabei verändert sie nicht die Programmdaten des Objekt- oder Quellcodes der auf der PSP eingesetzten Software der Klägerin. Die Software der Beklagten ver-ändert vielmehr durch das Zutun des Nutzers während des Ablaufs des Spiels den Inhalt von Variablen, die die Computerspiele der Klägerin im Arbeitsspeicher des Computers angelegt haben und die sie in ihrem Ablauf verwenden. Dadurch wird bewirkt, dass die Computerspiele der Klägerin auf Basis dieses veränderten Inhalts der Variablen ablaufen. Die Software der Beklagten verändert damit le-diglich Elemente, mittels derer die Benutzer Funktionalitäten nutzen, die keine Vervielfältigung oder spätere Entstehung dieses Programms ermöglichen.
2. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klageanträge auch nicht wegen einer von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten gezielten Mitbewerberbehinderung gemäß § 4 Nr. 10 UWG aF/§ 4 Nr. 4 UWG begründet sind. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung wird von der Revision nicht angegriffen und lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Gleiches gilt für die Beurteilung des Berufungsgerichts, mit denen es die Hilfsanträge für unbegrün-det erachtet hat.
III. Danach ist die Revision auf Kosten der Klägerin (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Urteil vom 24.01.2012, Az. 310 O 199/10
OLG Hamburg, Urteil vom 07.10.2021, Az. 5 U 23/12
LG Hamburg, Urteil vom 09.05.2025, Az. 324 O 278/23
§§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 17 DSGVO, § 85 Abs. 2 DSGVO
Das LG Hamburg hat entschieden, dass die Betreiberin der kostenfreien Entscheidungsdatenbank OpenJur nach der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO nicht für die versehentliche Veröffentlichung des Klarnamens eines Prozessbeteiligten im Rahmen einer Urteilsveröffentlichung hafte, da die Beklagte im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig sei, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertige. Auch eine Haftung nach §§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog komme nicht in Betracht: Zwar beeinträchtige die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, bestehe. Es handele sich auch um Informationen, die geeignet seien, dem beruflichen Fortkommen des Klägers zu schaden und es seien keine Gründe ersichtlich, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers sprächen. Allerdings habe die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Hamburg
Urteil
…
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einer von der Beklagten in einer Rechtsprechungsdatenbank veröffentlichten Gerichtsentscheidung.
Der Kläger ist ein bei der Rechtsanwaltskammer Berlin zugelassener Rechtsanwalt. Die Beklagte betreibt unter www.openjur.de eine frei zugängliche Rechtsprechungsdatenbank, auf der sie Rechtsprechung im Volltext dokumentiert. Sie ist eine als gemeinnützig anerkannte Gesellschaft mit Sitz in Hamburg. Zum Gesellschaftszweck der Beklagten gehört unter anderem auch die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Die von der Beklagten betriebene Rechtsprechungsdatenbank speist sich zum Teil aus automatisiert übernommenen Gerichtsentscheidungen, etwa aus einer von der juris GmbH betriebenen Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin. Zum anderen fordert die Beklagte gezielt zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten oder von Dritten an, wählt aus, welche von Dritten eingesandten Entscheidungen veröffentlicht werden, verfasst eigene Orientierungssätze und Schlagworte zu Entscheidungen, hebt Entscheidungen auf ihrer Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und veröffentlicht Hinweise auf Presseberichte zu juristischen und gesellschaftlichen Themen. Wegen der Einzelheiten solcher nicht-automatisierten Tätigkeiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 14.06.2024 Bezug genommen.
Der Kläger trat in einem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin als Antragsteller auf. In dem Verfahren, das sich gegen das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin richtete, ging es unter anderem darum, dass der Kläger mit der Entrichtung von Versorgungsbezügen in Verzug war, weswegen das Versorgungswerk gegen ihn die Zwangsvollstreckung betrieb. Ein Beschluss in der Sache erging am 05.05.2022. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt. Unklar ist, ob der Beschluss öffentlich verkündet wurde. Unter anderem sind in dem Beschluss Ausführungen zu dem ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers, dazu, dass er eine gewisse Zeit Arbeitslosengeld 1 bezogen habe und dazu, dass er mit der Entrichtung von Beiträgen zum berufsständischen Versorgungswerk in Verzug sei, enthalten. Weiterhin finden sich in dem Beschluss Angaben zu der finanziellen Situation des Klägers. Nähere Einzelheiten ergeben sich aus der Anlage K 2.
Die Beklagte veröffentlichte diesen Beschluss auf der von ihr verantworteten Internetseite openjur.de unter Nennung des Klarnamens des Klägers, der in der Randnummer 27 des Beschlusses enthalten war.
Der streitgegenständliche, von der Beklagten veröffentlichte Beschluss wurde in der Folge von gängigen Internet-Suchmaschinen indexiert. Streitig ist zwischen den Parteien, ob – wie von dem Kläger vorgetragen – bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers in eine Suchmaschine die Veröffentlichung der Beklagten als einer der ersten Treffer erschien.
Der Kläger forderte die Beklagte am 05.05.2023 zur Unterlassung der weiteren Verbreitung des Beschlusses, zur datenschutzrechtlichen Auskunftserteilung sowie zur Kostenerstattung und Schadensersatzzahlung auf. Die Beklagte wies die geltend gemachten Ansprüche mit E-Mail vom gleichen Tag zurück, entfernte aber umgehend den Namen des Klägers aus dem auf ihrer Webseite veröffentlichten Beschluss und teilte dem Kläger mit, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei.
Der Kläger macht geltend, dass die Beklagte durch die nicht anonymisierte Veröffentlichung des streitgegenständlichen Beschlusses seine personenbezogenen Daten und privaten Lebensumstände durch weltweite Abrufbarkeit der Allgemeinheit zugänglich gemacht habe. Dadurch sei ein unzumutbarer Kontrollverlust bei dem Kläger eingetreten, der sich zudem konkret rufschädigend ausgewirkt und das berufliche Fortkommen des Klägers möglicherweise erheblich erschwert habe. Potenzielle Mandaten seien abgeneigt, einen Rechtsanwalt zu mandatieren, der für einen gewissen Zeitraum arbeitslos gewesen ist, seine Zahlungspflichten nicht rechtzeitig erfüllen konnte sowie unter Hinweis auf besondere Härte um den Erlass bzw. Stundung solcher Ansprüche gebeten hatte. Zudem sei der Kläger weiterhin über das genaue Ausmaß der Verletzung seiner Rechte im Unklaren.
Dem Kläger komme wegen der erfolgten Veröffentlichung ein Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu. Die nicht anonymisierte Veröffentlichung habe in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Der Klarname des Klägers stelle ein personenbezogenes Datum im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO dar. Es sei kein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nennung seines Namens erkennbar. Insbesondere habe auch der Inhalt des Beschlusses keinen Anlass geboten, den Namen des Klägers zu nennen. Entgegen der Auffassung der Beklagten entfalle ihre Haftung auch nicht deswegen, weil sie davon ausgehe, die Veröffentlichung nicht verschuldet zu haben. Sie habe bei der Veröffentlichung des Beschlusses jedenfalls fahrlässig gehandelt. Sie habe sich den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zu eigen und diesen einer neuen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ohne im Einzelfall vorab eine gebotene Anonymisierung vorzunehmen und alle personenbezogenen Informationen aus der Entscheidung zu entfernen.
Der Kläger habe auch nicht die von der Beklagten veröffentlichten Umstände selbst in die Öffentlichkeit getragen. Er habe lediglich von seinem Recht Gebrauch gemacht, den Rechtsweg zu beschreiten. Er habe auch nicht die Veröffentlichung seines Namens widerspruchslos geduldet, sondern von dieser erst im März/April 2023 Kenntnis erlangt. Zudem habe der Kläger auch keinen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen können, da der streitgegenständliche Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergangen sei.
Nachdem der Kläger ursprünglich mit Nichtwissen bestritten hatte, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin automatisiert in nicht anonymisierter Form aus der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin übernommen habe, und die Beklagte sodann schriftsätzlich sowie durch ihren Geschäftsführer in der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2024 nähere Ausführungen zu den technischen Einzelheiten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Beschlusses gemacht hat, hat der Kläger sein Bestreiten nicht länger aufrechterhalten. Der Kläger hat, etwa mit Schriftsatz vom 08.11.2024, unstreitig gestellt, dass der Abruf der Entscheidung automatisch und in einer nicht anonymisierten Form aus der Datenbank des Landes Berlin erfolgte. Der Kläger hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, dass in einer solchen automatisierten Übernahme keine redaktionelle oder wissenschaftliche Tätigkeit liege, die eine privilegierte Behandlung der Beklagten rechtfertigen könne.
Es sei kein die Interessen des Klägers überwiegendes Interesse an der Nennung des Namens des Klägers durch die Beklagte zu erkennen. Dass, wie es die Beklagte geltend mache, das Verwaltungsgericht Berlin einen Abwägungsprozess durchgeführt habe, um den Klarnamen des Klägers zu veröffentlichen, werde mit Nichtwissen bestritten.
Auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei begründet. Der Schadensbegriff des Art. 82 DSGVO sei als europarechtlich autonomer Begriff insbesondere im Lichte der Ziele der DSGVO auszulegen und erfordere keine besondere Erheblichkeit des eingetretenen Schadens. Bereits die erstmalige Veröffentlichung des nicht anonymisierten Beschlusstextes habe den Kläger empfindlich beeinträchtigt. Es liege auf der Hand, dass die Beklagte fahrlässig gehandelt habe. Denn es entspreche dem Pflichtenprogramm bei der Veröffentlichung potenziell persönlichkeitsrechtlich relevanter Daten, diese vor Veröffentlichung zu prüfen und, wo nötig, zu anonymisieren. Zudem werde das Verschulden der Beklagten nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO vermutet. Die entsprechende Vermutung sei auch nicht widerlegt.
Der Kläger hat ursprünglich gegen die Beklagte auch einen auf Art. 15 DSGVO gestützten Auskunftsanspruch geltend gemacht. Die Beklagte, die die Auffassung vertreten hat, dass ein etwaiger Auskunftsanspruch des Klägers bereits vorgerichtlich erloschen sei, hat dem Kläger mit einer der Klagerwiderung beigefügten Anlage B 4 Auskunft erteilt. Die Parteivertreter haben daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2025 den auf Erteilung einer Auskunft gerichteten Klagantrag übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, personenbezogene Daten des Klägers im Zusammenhang mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. Mai 2022 zum Az. VG 12 L 25/22 im Internet zu veröffentlichen oder öffentlich verfügbar zu halten, wie geschehen bei Veröffentlichung des nicht anonymisierten Beschlusstextes des Verwaltungsgerichts Berlin (Az. VG 12 L 25/22) in der Rechtsprechungsdatenbank der Beklagten, abrufbar bis zum 5. Mai 2023 unter https://openjur.de/u/2395992.html und aus der Anlage K 2 ersichtlich.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schmerzensgeld in angemessener Höhe, mindestens jedoch in Höhe von insgesamt 5.500 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.375,88 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Mai 2023 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich darauf, dass der Kläger die in dem Beschluss enthaltenen Lebensumstände selbst in die Öffentlichkeit getragen habe, indem er am Verwaltungsgericht Berlin einen Verwaltungsrechtsstreit initiiert und darin die Umstände seiner Berufstätigkeit sowie seines Einkommens zum Gegenstand seines Vortrags gemacht habe, ohne den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Verkündung des Beschlusses zu beantragen. Damit habe der Kläger selbst die ihn betreffenden Umstände aus der Hand gegeben und auf die Wahrung seiner Geheimhaltungsinteressen verzichtet. Das Verwaltungsgericht Berlin habe seinen Beschluss öffentlich verkündet und die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz habe den Beschluss in einer nicht vollständig anonymisierten Fassung online abrufbar in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin unter gesetze.berlin.de zum freien Abruf bereitgestellt. Darin sei der Name des Klägers im Begründungsteil der Entscheidung enthalten gewesen. Diese Veröffentlichung habe sie, die Beklagte, in unveränderter Form übernommen. Der Kläger habe die Veröffentlichung in der Datenbank der Senatsverwaltung Berlin über ein Jahr hingenommen, bevor er sich um die Löschung seines Namens bemüht habe. Die Nennung des Klägers in der Entscheidungsveröffentlichung spreche dafür, dass die Senatsverwaltung das Interesse der Öffentlichkeit an einem vollständigen Zugang zu der Entscheidung höher gewichtet habe als das Geheimhaltungsinteresse des Klägers. Dabei könnte es auch eine Rolle gespielt haben, dass der Kläger das Verfahren selbst initiiert und die ihn betreffenden Umstände selbst vorgetragen habe.
Die Entscheidungen der Senatsverwaltung Berlin seien frei abrufbar. Jeder könne die Rechtsprechungsdatenbank aufrufen und so zu den darin enthaltenen Gerichtsentscheidungen gelangen. Diese Entscheidungen aus der Datenbank würden auch bei Google indexiert, sodass sie in den Suchergebnissen auftauchen. Deswegen dürfte auch die den Kläger betreffenden Entscheidung aus der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin bei Google auffindbar gewesen sein.
Die Beklagte erhalte auch Gerichtsentscheidungen von Dritten oder Gerichten. Wenn dies der Fall sei, führe sie vor der Veröffentlichung eine manuelle Anonymisierung durch. Den streitgegenständlichen Beschluss indes habe sie nicht von einem Gericht oder von Dritten erhalten, sondern durch einen automatisierten Abgleich der docID aus der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin übernommen. Bei einer solchen Übernahme führe sie keine manuelle Überprüfung durch.
Die Beklagte habe, nachdem sie am 05.05.2023 um 18.07 Uhr die Abmahnung des Klägers erhalten habe, – was unstreitig ist – bereits um 18:25 Uhr den Namen des Klägers aus der von ihr veröffentlichten Entscheidung entfernt. Anschließend habe die Beklagte eine Neuindexierung durch Google sowie die Entfernung aus den Google-Cache-Einträgen beantragt und an demselben Abend den Kläger über die unternommenen Schritte informiert. Die technischen Vorkehrungen der Beklagten verhinderten eine weitere Veröffentlichung des Beschlusses in der Datenbank der Beklagten, da diese so ausgestaltet sei, dass jede Gerichtsentscheidung nur einmal veröffentlicht werden könne.
Der Unterlassungsantrag sei unbegründet. Ein von dem Kläger behaupteter Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liege nicht vor. Diese Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei von vornherein nicht einschlägig. Es könne allenfalls die äußerungsrechtliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einschlägig sein. Dies müsse aber in der Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten zurücktreten.
Die Rechtsprechungsdatenbank der Beklagten sei durch die Pressefreiheit geschützt. Sie bereite deutsche und europäische Gerichtsentscheidungen auf und mache sie auf der Website openjur.de als medialem Verbreitungsweg einem unbestimmten Personenkreis zugänglich. In der vorzunehmenden Abwägung hätten die Interessen des Klägers an dem Unterbleiben der Veröffentlichung zurückzutreten. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers komme dabei nur ein geringes Gewicht zu, da der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin bereits vor dem Hinweis des Klägers vom 05.05.2023 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei. Zudem habe er die ihn betreffenden Umstände selbst nach außen getragen. Er habe auf die Wahrung seiner Geheimhaltungsinteressen bei der Verkündung des Beschlusses verzichtet. Zudem habe er die Verfügbarkeit des Beschlusses im Internet in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin fast ein Jahr lang hingenommen. Die Veröffentlichung in der Datenbank der Beklagten habe den Rezipientenkreis nicht wesentlich erweitert. Zudem würden nur wahre Tatsachen aus der Sozialsphäre des Klägers verbreitet.
Vorliegend bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an dem Zusammentragen und Bündeln einer möglichst großen Anzahl an Gerichtsentscheidungen, wie es die Beklagte praktiziere. Die Beklagte könne keine frei zugängliche und umfassende Rechtsprechungsdatenbank anbieten, wenn sie jede Entscheidung individuell auf vermutliche Rechtsverletzungen überprüfen müsste. Hinzu komme, dass es angesichts des Ermessensspielraums der Justizbehörden bei der Veröffentlichung von Entscheidungen faktisch unmöglich sei, die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen nachzuvollziehen. Eine Einzelfallprüfung könne daher von ihr nicht verlangt werden. Umstände, die in öffentlich zugänglichen Datenbanken erscheinen, dürfe sie, die Beklagte, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts guten Glaubens verwerten, solange sie nicht erkennbar überholt oder widerrufen seien.
Für den Unterlassungsanspruch fehle es auch an der Wiederholungsgefahr. Die Beklagte habe im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung durch eine staatliche Behörde gehandelt. Den Verlautbarungen amtlicher Stellen dürfe ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden. Dies gelte auch für die Veröffentlichungen von Gerichtsentscheidungen in den Rechtsprechungsdatenbanken der Länder. Die Beklagte habe zu Grunde legen dürfen, dass die Entscheidung des Landes Berlin, den Namen des Klägers in den Gründen zu veröffentlichen, rechtmäßig gewesen sei. Dieses Vertrauen sei erst durch den Hinweis des Klägers vom 05.05.2023 erschüttert worden. Auf diesen habe sie aber sofort reagiert.
Dem Kläger stehe auch der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht zu. Die Zahlung einer Geldentschädigung komme bereits mangels Verschulden der Beklagten nicht in Betracht. Die Beklagte habe auf die Veröffentlichung des Landes Berlin vertraut. Sie handele zudem gemeinnützig und zum Wohle der Allgemeinheit. Auch ein Kostenerstattungsanspruch komme dem Kläger nicht zu.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, und zwar weder aus Art. 17 DSGVO noch aus nationalem Recht.
1. Ein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO besteht nicht.
Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der von der Beklagten betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Dies hat zur Folge, dass sich die Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zusteht, nicht nach den Regelungen der DSGVO, sondern nach dem einschlägigen nationalen Recht richtet.
a) Gemäß Art. 85 Abs. 2 DSGVO sehen die Mitgliedsstaaten für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
Der Begriff des journalistischen Zwecks ist unionsrechtsautonom auszulegen. Er ist weit zu verstehen. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 153, S. 7 der DSGVO, der lautet: „Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden.“
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist vor allem das Ziel der Veröffentlichung maßgeblich. Es kommt darauf an, ob die Veröffentlichung zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings hält auch der EuGH fest, dass nicht jegliche im Internet veröffentlichte Information unter den Begriff der journalistischen Tätigkeit falle (EuGH GRUR 2019, 760 Rn. 59 – Buivids). Auf eine berufliche Ausübung der Tätigkeit (Berufsjournalist) kommt es allerdings ebenso wenig an wie auf eine Anbindung an eine Zeitungs- oder Rundfunkredaktion (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 70, beck-online).
Die Einordnung von Intermediären, die keine eigenen Texte oder Inhalte veröffentlichen, sondern Inhalte Dritter verbreiten, wird differenziert beurteilt: Im Falle eines Ärztebewertungsportals hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Medienprivileg aus Art. 85 Abs. 2 DSGVO nicht eingreife, weil es an einer journalistisch-redaktionelle Bearbeitung der Bewertungen fehle (BGHZ 202, 242 Rn. 13 – Ärztebewertung II; BGHZ 217, 340 Rn. 10 – Ärztebewertung III). Dies begegnete Kritik, weil der Portalbetreiber im Fall Ärztebewertung III durchaus in die Präsentation der Arztprofile eingegriffen hatte (vgl. BGHZ 217, 340 Rn. 18) und damit gerade seine Stellung als neutraler Informationsmittler verlassen habe (BeckOK InfoMedienR/Cornils, 47. Ed. 1.2.2021, Art. 85 DSGVO Rn. 75.1, beck-online). Eine Privilegierung von Informationsintermediären wird dann für möglich gehalten, wenn diese ein Mindestmaß an Bearbeitung leisten (BeckOK DatenschutzR/Lauber-Rönsberg, 50. Ed. 1.11.2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online).
b) Die Voraussetzungen der Bereichsausnahme für journalistische Zwecke liegen nach diesem Maßstab hier vor, denn die Beklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertigt.
So fordert die Beklagte zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten gezielt zur Veröffentlichung an. Dies gilt etwa für den in den Medien viel diskutierten Beschluss des Kammergerichts vom 06.12.2021, Az. 3 Ws 250/21 zur Einstellung des datenschutzrechtlichen Bußgeldverfahrens gegen das Unternehmen Deutsche Wohnen oder das historische Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Im Jahr 2023 wurden auf diese Weise rund 300 Entscheidungen von Gerichten angefordert und erstveröffentlicht (vgl. Auswahl in Anlage B 8). Außerdem fordert die Beklagte auch Entscheidungen von Dritten an. Dies gilt etwa für das Urteil des Landgerichts München I im sogenannten Badewannen-Prozess, das die Beklagte von den Prozessbevollmächtigten des dortigen Verfahrens angefragt und erhalten hat, nachdem ihr Antrag auf Übersendung vom Präsidenten des Landgerichts abgelehnt wurde. Die Beklagte beschreitet auch den Rechtsweg, um Entscheidungen zu erhalten, etwa wenn Gerichte die Zusendung von Entscheidungen verweigern oder für die Zusendung Gebühren verlangen. Soweit Dritte Entscheidungen einsenden, wählt die Beklagte aus, welche dieser Entscheidung sie veröffentlicht. Die Beklagte verfasst eigene Orientierungssätze zu Entscheidungen und verschlagwortet Entscheidungen. Sie hebt Entscheidungen auf der Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und stellt auf ihrer Startseite unter der Überschrift „Aktuell“ individuell ausgewählte, besonders relevante und neu veröffentliche Rechtsprechung vor.
Diese Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschieht. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon darin, dass die Beklagte Gerichtsentscheidungen auch gezielt anfordert, wodurch ihre Tätigkeit einen redaktionellen und auch meinungsbildenden Charakter erhält. Darüber hinaus leistet die Beklagte ein Mindestmaß an Bearbeitung auch dadurch, dass sie Entscheidungen für eine hervorgehobene Veröffentlichung auswählt und Entscheidungen mit einer Beschreibung versieht.
c) Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihrer betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt auch insgesamt der Bereichsausnahme. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Urteilsveröffentlichung – wie bei vielen anderen Urteilsveröffentlichungen der Beklagten – um eine automatisiert und ohne Änderungen aus Rechtsprechungsdatenbanken übernommene Entscheidungen handelt.
Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass sich in der Entscheidungsdatenbank der Beklagten, die im Zentrum der Tätigkeit der Beklagten steht, Entscheidungen, die die Beklagte aktiv anfordert, Entscheidungen, die die Beklagte mit eigenen Orientierungssätzen versieht und auch Entscheidungen, die – wie die streitgegenständliche – von der Beklagten nicht bearbeitet wurden, vermengen. Da die Tätigkeit der Beklagten gerade darin besteht, die Datenbank als Ganzes bereitzuhalten, muss sich die anzuerkennende Bereichsausnahme auf die Veröffentlichung aller Inhalte beziehen und nicht nur auf solche Beiträge in der Datenbank, die bereits bei isolierter Betrachtung, etwa aufgrund einer Formulierung eines Orientierungssatzes oder einer aktiven Recherche nach der Entscheidung, als redaktionelle Tätigkeit einzustufen sind.
Daran ändert sich auch dann nichts, wenn – worauf der Kläger hinweist – die Mehrzahl der Entscheidungen, die die Beklagte in ihre Datenbank aufnimmt, in automatisierter Weise übernommen werden und die Entscheidungen, die die Beklagte individuell bearbeitet oder besonderen Rechercheaufwand für ihren Erhalt betreibt, demgegenüber nur in geringerer Anzahl vorhanden sind. Soweit der BGH davon spricht, dass die meinungsbildende Wirkung prägender Bestandteil des Angebots und nicht nur „schmückendes Beiwerk“ sein dürfe (BGH, Urt. v. 23.06.2009 – VI ZR 196/08 –, BGHZ 181, 328-345, Rn. 21 – spickmich.de, noch zur Bereichsausnahme im BDSG), stellen die von der Beklagten vorgenommenen redaktionellen Bearbeitungen hier nicht nur „schmückendes Beiwerk“ dar. Sie sind im Rahmen der einheitlich angebotenen Datenbank vielmehr untrennbar mit den übrigen, automatisiert vorgenommenen Abläufen verbunden. Es verhält sich daher nicht so, dass die Beklagte ihr Angebot lediglich mit einem „schmückenden Beiwerk“ von solchen Zusatzinformationen, aktuellen Meldungen oder Meinungsäußerungen Dritter versieht, die gerade in der Online-Welt dank einfacher Programmiertechnik und Verlinkungsmöglichkeiten regelmäßig ohne größeren Aufwand möglich sind (vgl. Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 25, beck-online). Vielmehr ist der redaktionelle Aufwand der Beklagten prägender Bestandteil im Rahmen der Vervollständigungen der von ihr betriebenen Entscheidungsdatenbank, so dass es weder auf das konkrete Verhältnis zwischen automatisierter und „händischer“ Tätigkeit ankommt, noch darauf, ob die einzelne, hier die konkret streitige Entscheidung automatisiert abgerufen oder inhaltlich bearbeitet wurde. Auch wenn es sich so verhalten sollte, dass der überwiegende Teil der in der Datenbank bereitgehaltenen Entscheidungen automatisiert abgerufen wurde, tritt die Bedeutung der redaktionellen Tätigkeit der Beklagten für die Bereithaltung der Rechtsprechungsdatenbank keineswegs völlig in den Hintergrund.
d) Ohne dass es hierauf noch ankäme, dürfte auch die Bereichsausnahme für eine Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen. Der Begriff der wissenschaftlichen Forschung umfasst jede wissenschaftliche Tätigkeit und damit eine solche Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (Kühling/Buchner/Buchner/Tinnefeld, 4. Aufl. 2024, Art. 85 DSGVO Rn. 21, beck-online m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht einiges dafür, dass die Beklagten wissenschaftliche Zwecke für sich in Anspruch nehmen kann. Dies gilt etwa im Hinblick darauf, dass rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen häufig Gerichtsentscheidungen über die Datenbank der Beklagten zitieren (vgl. zu einer Literatursuche nach dem Stichwort „openjur“ in der Datenbank Beck-Online Anlage B 12). Zudem ist die Beklagte auch Partnerin der Initiative „OpenRewi“, eines Zusammenschlusses von Rechtswissenschaftlern, der sich der Nutzung frei zugänglicher Informationen für die rechtswissenschaftliche Forschung verschrieben hat.
2. Bleibt es danach für die Beurteilung des Unterlassungsbegehrens des Klägers bei der Anwendbarkeit des nationalen Rechts, das aufgrund der Bereichsausnahme anstelle der Regelungen der DSGVO Geltung beansprucht, steht dem Kläger auch insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere besteht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
a) Zwar beeinträchtigt die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, besteht. Das gilt auch, soweit man berücksichtigt, dass diese Umstände (nur) die Sozialsphäre des Klägers betreffen. Denn es handelt sich um Informationen, die geeignet sind, dem beruflichen Fortkommen des Klägers zu schaden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse gerade an der Person des Klägers sprechen. Am Ergebnis dieser Abwägung ändert sich auch dann nichts, wenn, wie die Beklagte vorträgt, der Beschluss in dem den Kläger betreffenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren öffentlich verkündet worden sein sollte. Dies gilt bereits deswegen, weil die Gerichtsöffentlichkeit eine andere ist als die Internetöffentlichkeit.
b) Allerdings hat die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Zusammenhang mit einer Äußerung stellt einen Rechtfertigungsgrund nach § 193 StGB dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB als eine Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berücksichtigt und ist im Hinblick auf die Funktion der Presse im demokratischen Staat anerkannt (BGH, Urt. v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58 –, BGHZ 31, 308-321, Rn. 9).
Einen Anwendungsfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen stellen sog. privilegierte Quellen dar. Verlautbarung von privilegierten Quellen darf ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden (BGH NJW 2014, 2029 Rn. 30, beck-online). Neben dem Umstand, dass amtliche Stellen an die Grundrechte gebunden sind und damit schon ihrerseits vor einer Verlautbarung eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen habe, liegt die Sonderbehandlung privilegierter Quellen auch darin begründet, dass Medienanbieter im Interesse der Gewährleistung einer möglichst breiten Pluralität in die Lage versetzt werden sollen, auch über solche Themen zu berichten, die – gemessen an den zur Verfügung stehenden personellen und wirtschaftlichen Ressourcen – jenseits ihres eigenen „Rechercheradius“ liegen (vgl. Korte PresseR, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 241).
Die von der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlichten Entscheidungen stellen eine solche privilegierte Quelle dar. Solange für die Beklagte keine konkreten Zweifel daran bestanden, dass eine Veröffentlichung einer Entscheidung in ihrer Datenbank in der identischen Form, wie sie bereits in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlicht wurde, Rechte Dritter verletzt, handelte die Beklagte gerechtfertigt und unterlag auch keiner Pflicht zur Nachrecherche (vgl. Korte aaO Rn. 244). Solche Zweifel mussten bei der Beklagten erst mit der Anfrage durch den Kläger entstehen. Hierauf ist die Beklagte unverzüglich tätig geworden und hat den Namen des Klägers aus der Entscheidung entfernt.
II. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Verarbeitung der persönlichen Daten durch die Veröffentlichung des Namens des Klägers zu.
1. Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kommt nicht in Betracht. Insoweit ist Art. 82 DSGVO schon nicht anwendbar, weil die in Kapitel II der DSGVO geregelten Grundsätze der Datenverarbeitung und die in Kapitel III der DSGVO geregelten Rechte der betroffenen Person aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es „auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht auf die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch eine journalistische Tätigkeit gestützt werden kann, wenn die Bestimmungen für die Tätigkeit gar nicht gelten“. Dabei spiele auch keine Rolle, dass die Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO die in Kapitel VIII der Verordnung enthaltene Vorschrift des Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht ausdrücklich erfasse (BGH GRUR 2022, 735 Rn. 18, beck-online).
2. Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstellt, kommt auch ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
III. Auch im Hinblick auf die vom Kläger als zu spät gerügte Auskunft steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht zu.
1. Art. 82 DSGVO ist insoweit allerdings anwendbar. Denn wenn ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO grundsätzlich besteht, kann im Falle einer Verletzung dieses Auskunftsanspruchs auch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO bestehen. Der Auskunftsanspruch beurteilt sich vorliegend auch in Ansehung der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO nach Art. 15 DSGVO. Denn es ist nicht ersichtlich, dass nach nationalem Recht eine Regelung eingreift, die einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO deswegen ausschließen könnte, weil dies, wie es Art. 85 Abs. 2 DSGVO verlangt, erforderlich wäre, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.
2. Dem Kläger stand ursprünglich ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu, denn die Beklagte hat durch die Veröffentlichung des Beschlusses mit dem darin enthaltenen Namen des Klägers und den ihn betreffenden Informationen personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO verarbeitet.
3. Im vorliegenden Fall dürfte die Auskunft auch verspätet erteilt worden sein. Gemäß Art. 12 Abs. 3 DSGVO stellt der Verantwortliche der betroffenen Person Informationen über die auf Antrag gemäß den Artikeln 15 bis 22 ergriffenen Maßnahmen unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung; diese Frist kann um weitere zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist. Hier hat der Kläger am 05.05.2023 Auskunft verlangt. Die Beklagte hat zwar noch am gleichen Tag geantwortet und die Auskunft auch teilweise erteilt – etwa im Hinblick auf die Herkunft der Daten mitgeteilt, dass die Entscheidung automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei –, im Übrigen aber auf die allgemeinen Datenschutzinformationen verwiesen. Eine weitergehende und nach Ansicht der Beklagten vollständige Auskunft hat die Beklagte erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens mit der Klagerwiderung vom 20.10.2023 (dort Anlage B 4) erteilt, somit rund 5 Monate nach dem Auskunftsbegehren.
In rechtlicher Hinsicht umstritten ist, ob der Umstand, dass eine Auskunft verspätet erteilt wird, überhaupt einen Schadensersatzanspruch begründen kann. Teilweise wird dagegen eingewandt, dass von Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst seien, die „durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung“ entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 Abs. 3 bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können (LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2023 – 3 Sa 285/23 –, Rn. 31, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2021 – 16 O 128/20; aA OLG Köln NJW-RR 2023, 564 Rn. 14, beck-online).
4. Ob die Auskunft verspätet war und eine solche Verspätung einen Schadensersatzanspruch begründen kann, kann hier aber offen bleiben. Denn es fehlt an der schlüssigen Darlegung eines (immateriellen) Schadens, den der Kläger gerade durch die verspätete Auskunft erlitten habe.
Der Begriff des immateriellen Schadens ist autonom unionsrechtlich zu definieren. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 24, juris). Allerdings muss ein Schaden nicht einen bestimmten Grad an Schwere oder Erheblichkeit erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-590/22 –, Rn. 26, juris). Schon der – selbst kurzzeitige – Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten kann einen immateriellen Schaden darstellen, ohne dass dieser Begriff des „immateriellen Schadens“ den Nachweis zusätzlicher spürbarer negativer Folgen erfordert (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-200/23 –, Rn. 145, 156 i.V.m. 137, juris). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der bloße Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar (BGH, Urt. v. 18.11.2024, VI ZR 10/24, Rn. 27-45).
Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm durch die versagte Auskunft ein immaterieller Schaden entstanden sei, da er sich im Ungewissen darüber befinde, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene, sich noch weiter vertiefende Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, spürbar unangenehm und emotional stark belastend. Nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung weitergehende Auskunft erteilt hat, hat der Kläger vorgetragen, ihm sei durch die monatelang versagte Auskunft ein konkreter immaterieller Schaden entstanden, da er sich stets im Ungewissen darüber befunden habe, welche und wie konkret seine personenbezogenen Daten von der Beklagten verarbeitet wurden und werden. Der hiermit verbundene Kontrollverlust des Klägers im Hinblick auf den Umgang mit seinen persönlichen Daten sowie die konkrete Gefahr einer Rufschädigung und der Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei für den Kläger unzumutbar, enorm unangenehm und emotional stark belastend.
Dem Vortrag ist nicht zu entnehmen, inwiefern der Kläger allein durch den Umstand, dass die Auskunft verspätet erteilt worden sei, einen immateriellen Schaden erlitten habe. Dies gilt umso mehr, als ein ganz maßgeblicher Bestandteil der Auskunft – nämlich zur Herkunft der Daten – bereits am Tag des Auskunftsbegehrens beantwortet und dem Kläger mit E-Mail vom 05.05.2024 mitgeteilt wurde, dass die Entscheidung in dieser Form aus der amtlichen Entscheidungsdatenbank des Landes Berlin übernommen wurde. Auch war für den Kläger erkennbar, welche personenbezogene Daten die Beklagte veröffentlicht hatte und an wen sie sich mit dieser Veröffentlichung wandte, nämlich an die gesamte Internetöffentlichkeit. Insofern liegt in der bloß zeitlich verzögerten vollständigen Auskunftserteilung auch kein weitergehender Kontrollverlust als der, der bereits durch die nicht hinreichend anonymisierte Veröffentlichung der Entscheidung eingetreten war.
Der Fall liegt auch ganz maßgeblich anders als die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Köln, worin eine Entschädigung in Höhe von 500 € wegen einer verspäteten Auskunftserteilung zugesprochen wurden. Im dortigen Fall hat die Klägerin von einem Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten zu ihrem Mandat verlangt. Die dortige Klägerin war für eine nicht unerhebliche Dauer vom Rechtsanwalt über das weitere Schicksal des Mandates im Unklaren gelassen worden und war über Monate nicht in der Lage, auf die Handakte zuzugreifen, Kenntnis über den Inhalt der dort gespeicherten Daten zu erlangen und das sie betreffende Verfahren mit dem neuen Prozessbevollmächtigten voran zu treiben (OLG Köln, Urt. v. 14.07.2022 – I-15 U 137/21 –, Rn. 26, juris).
IV. Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten aus § 823 Abs. 1 BGB. Soweit der Kläger die Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigen mit Schreiben vom 05.05.2023 zur Unterlassung, zur Auskunft sowie zur Zahlung eines Schadensersatzes auffordern ließ, bestehen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nicht, so dass insoweit auch kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten vorliegen kann. Hinsichtlich der Aufforderung zur Auskunft bestand zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens mangels einer vorherigen Aufforderung kein Verzug der Beklagten mit der Auskunft, der für eine Erstattungsfähigkeit – auch in Ermangelung einer vertraglichen Verbindung zwischen den Parteien – aber erforderlich ist.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91a, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Kostenantrags ursprünglich ein Auskunftsanspruch bestand, wären die hierauf entfallenden Kosten zwar grundsätzlich der Beklagten anzulasten, da der Auskunftsanspruch erst dadurch erfüllt wurde und gemäß § 362 BGB erloschen ist, dass die Beklagte durch die mit der Klagerwiderung übersandten Anlage B 4 das Auskunftsbegehren des Klägers beantwortet hat. Nach dem Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO fällt der Wert der Auskunft allerdings gegenüber dem übrigen, auf Unterlassung und Schadenersatz entfallenden Wert der Klage nicht ins Gewicht.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts orientiert sich an §§ 3, 48 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat den Wert des auf Unterlassung gerichteten Antrags, der außergerichtlich vom Kläger begründeten Wertvorstellung aus dem Schreiben vom 05.05.2023 folgend, auf 25.000 €, den Wert des auf Schadensersatz gerichteten Antrags auf 5.500 € und den Wert des Auskunftsantrags auf 500 € festgesetzt.
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OLG Köln, Urteil vom 19.02.2020, Az. 6 U 184/19
§ 3 a UWG, § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB
Das OLG Köln hat darauf hingewiesen, dass (Paypal-) AGB nicht allein auf Grund ihrer Länge gegen das Transparenzgebot (§ 305 BGB) verstoßen. Grundsätzlich könne ein Verstoß gegen das Transparenzgebot und eine nicht wirksame Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen angenommen werden, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts einen vertretbaren Umfang überschritten. Zu berücksichtigen sei aber,, dass die Verbraucher sich an Vertragsabschlüsse über das Internet gewöhnt hätten. Das Internet stelle im Ausgangspunkt eine übersichtliche Oberfläche dar, die es dem Kunden ermögliche, Texte zu vergrößern und sich – auch da kein Druck entstehe, wie er etwa bei der Bedienung durch eine natürliche Person angenommen werden könnte – intensiv mit dem Klauselwerk auseinander zu setzen. Soweit die Informationszeit länger sein müsse, wenn das Klauselwerk umfangreich ist, sei dies für den Vertragsschluss im Internet von untergeordneter Bedeutung, weil dem Verbraucher selbst überlassen bleibe, wie lange er sich mit dem Klauselwerk auseinandersetze. Für die Frage, ob eine Kenntnisnahme zumutbar sei, seidarüber hinaus auf die jeweilige Vertragsart und die Üblichkeit in dem jeweiligen Bereich abzustellen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe der Kläger einen die Zumutbarkeit der Kenntnisnahme überschreitenden Umfang der konkret zum Gegenstand des Klageantrags gemachten Geschäftsbedingungen nicht dargelegt. Allein auf die erhebliche Seitenzahl von 83 Seiten in ausgedruckter Form könne nicht abgestellt werden. Es sei auch – was die Beklagte umfassend dargelegt hat – zu berücksichtigen, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten dazu geschaffen wurden, die Abwicklung einer Zahlung zwischen fünf verschiedenen Personen zu ermöglichen. Denn an einem Zahlungsvorgang seien neben dem Zahlenden, dem Empfänger der Zahlung und der Beklagten als Dienstleister auch die jeweils von den Kunden zu wählenden Zahlungsmethoden zu berücksichtigen, die – etwa über eine Einzugsermächtigung, aber auch über die Zahlung mit einer Kreditkarte – über weitere Personen wie Banken abgewickelt würden. Entgegen der Ansicht des Klägers könne in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher im Rahmen eines Zahlungsvorgangs immer allein derjenige sei, der die Zahlung leiste. Vielmehr sei der Verbraucher regelmäßig auch Zahlungsempfänger, sei es, weil er eine Rückerstattung – etwa nach Widerruf – erhalte, sei es, weil er als Verkäufer beispielsweise über eBay Kleinanzeigen in privatem Rahmen Verkäufe getätigt habe und die Zahlung über den Dienst der Beklagten abgewickelt werde. Soweit der Kläger gegenteiliges vorgetragen habe, ist dies allgemeinbekannt nicht zutreffend. Auch die Einbeziehung von Zusatzbedingungen führe nicht zu einer Unzumutbarkeit der Kenntnisnahme. Denn die Gestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei insoweit übersichtlich gehalten, so dass der Verbraucher erkennen könne, dass diese für ihn nicht von Bedeutung seien. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 25.06.2019 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 31 O 164/18 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts Köln sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
1Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Nutzung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in ihrer Gesamtheit.
4Der Kläger ist eine in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste nach § 4 Abs. 1 S. 1 UKlaG eingetragene qualifizierte Einrichtung. Er hat gemäß § 2 seiner Satzung den Zweck, Verbraucherinteressen wahrzunehmen, den Verbraucherschutz zu fördern, die Stellung des Verbrauchers in der sozialen Marktwirtschaft zu stärken und zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.
5Die Beklagte bietet ein internetbasiertes Verfahren für bargeldlose Zahlungen im elektronischen Geschäftsverkehr an. Die von der Beklagten und von mit dieser verbundenen Unternehmen für den Online-Bezahldienst bereitgestellte Bezahlplattform „PayPal“ ermöglicht es den ca. zweihundert Millionen privaten und gewerblichen Nutzern weltweit, auf elektronischem Wege Geld zu transferieren. Den zwischen der Beklagten und den Nutzern geschlossenen Verträgen lagen die als Anlage K3 eingereichten PayPal-Nutzungsbedingungen mit Stand vom 25.05.2018 zugrunde. Hierbei verwandte die Beklagte auf der Internetseite www.paypal.com ein Anmeldeformular wie in Anlage K1 wiedergegeben. Für mobile Endgeräte besteht die Möglichkeit des Vertragsabschlusses über eine Applikation mit dem in Anlage K2 wiedergegebenen Anmeldeformular.
6Mit Schreiben vom 14.01.2018 mahnte der Kläger die Beklagte wegen der Verwendung der Nutzungsbedingungen mit Stand vom 09.01.2018 ab und forderte sie erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf.
7Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagte handele unlauter im Sinne der §§ 3, 3a, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und Nr. 7 UWG in Verbindung mit § 305 Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie gegenüber den Nutzern den Eindruck erwecke, die streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen würden bei Abschluss des Vertragsverhältnisses wirksam einbezogen, obwohl dies nicht der Fall sei. Hierzu hat er geltend gemacht, dass die Nutzungsbedingungen in ausgedruckter Form – insoweit unstreitig – insgesamt 83 DIN A4 Seiten umfassten und damit zu lang seien. Ein durchschnittlicher Leser benötige 80 Minuten für die Lektüre der Nutzungsbedingungen. Auf einem mobilen Endgerät wie etwa dem Mobiltelefon Samsung Galaxy S7 müsse der Nutzer ca. 330mal die Bildschirmdarstellung verschieben („scrollen“), um vom Inhalt der Nutzungsbedingungen in vollem Umfang Kenntnis nehmen zu können. Unter Zugrundelegung einer Lesegeschwindigkeit von 250 Wörtern pro Minute benötige er für das Lesen der Nutzungsbedingungen der Beklagten in ausgedruckter Form rund 80 Minuten, in elektronischer Form auf einem mobilen Endgerät nochmals länger. Zudem seien die Nutzungsbedingungen inhaltlich nicht hinreichend verständlich formuliert. Hierzu hat der Kläger behauptet, die Nutzungsbedingungen einer Analyse unter Einsatz der Verständlichkeitssoftware TextLab unterzogen zu haben, welche formale Texteigenschaften wie Wort- und Satzlänge und Worthäufigkeit anhand verschiedener Lesbarkeitsformeln sowie anhand bis zu 80 Kennzahlen analysiere. In diesem Zusammenhang hat er behauptet, die Analyse habe für die streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen einen Wert von lediglich 3,18 nach dem „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX) ergeben. Dieser ordne die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0-20 ein, wobei beruhend auf Studien des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim für Fachtexte ein Zielwert von 12 vorgegeben sei. Im Weiteren führt der Kläger aus, die Nutzungsbedingungen der Beklagten umfassten über 20.000 Wörter in mehr als 1.000 Sätzen. Rund 38 % der Sätze beinhalteten mehr als 20 Wörter und der längste Satz enthalte 111 Wörter.
8Der Kläger hat beantragt,
9101. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an den Mitgliedern des conseil de gérance, zu unterlassen,
11im Rahmen geschäftlicher Handlungen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Verbrauchern den Abschluss eines Vertrages über die Nutzung eines Zahlungsdienstes auf der Webseite paypal.com wie in Anlage K1 wiedergegeben und/oder über eine Applikation für mobile Endgeräte wie in Anlage K2 wiedergegeben anzubieten oder anbieten zu lassen und hierbei Allgemeine Geschäftsbedingungen zu verwenden, wie sie der Anlage K3 zu entnehmen sind.
12132. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass die Klage bereits unzulässig sei, weil der Klageantrag nicht hinreichend bestimmt und zudem alternativ begründet sei. In der Sache hat sie die Klage für unzulässig und unbegründet gehalten. Der Kläger sei nicht befugt, die Nutzungsbedingungen in ihrer Gesamtheit anzugreifen und verweist hierzu auf die gesetzliche Wertung des § 1 UKlaG. Ebenso sei die Einbeziehungskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht verbandsklagefähig. Die angegriffene Verwendung der Nutzungsbedingungen sei zudem nicht lauterkeitsrechtlich zu beanstanden. Insbesondere stelle § 305 BGB keine Marktverhaltensregel iSd. § 3a UWG dar. Auch gelte das Transparenzgebot des § 307 BGB nur im Hinblick auf bestimmte in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Klauseln, nicht aber auf das Regelwerk in seiner Gesamtheit. Darüber hinaus hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass die Nutzungsbedingungen hinreichend verständlich und damit einbeziehungsfähig seien. Sie hat behauptet, bei einer von ihr durchgeführten Analyse der Nutzungsbedingungen mit der Software TextLab hätten diese einen HIX-Wert von 10,39 erzielt. Zudem hat sie die Auffassung vertreten, dass eine Analyse mit der Verständlichkeitssoftware TextLab nicht genüge, um eine fehlende inhaltliche Verständlichkeit aufzuzeigen, zumal verständlichkeitserhöhende Mittel der Textgestaltung wie etwa Hervorhebungen oder veranschaulichende Aufzählungen in der TextLab-Analyse keine Berücksichtigung fänden. Die Länge der Nutzungsbedingungen stehe einer wirksamen Einbeziehung in den Nutzungsvertrag nicht entgegen, zumal die absolute Länge von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereits kein geeignetes Kriterium im Rahmen der Einbeziehungskontrolle sei. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Beklagte nach ihrem Geschäftsmodell gesetzlich nicht abschließend geregelte Finanzdienstleistungen anbiete, die aufgrund ihrer Komplexität einen erhöhten Regelungsbedarf aufwiesen, und die Beklagte zudem umfangreichen gesetzlichen Informationspflichten unterliege. Auch die Nutzungsbedingungen anderer Banken oder Finanzdienstleister seien nicht minder umfangreich ausgestaltet.
17Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Klage zulässig, aber unbegründet sei. Das Landgericht sei sachlich und örtlich zuständig. Der Klageantrag sei aufgrund der Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung hinreichend bestimmt. Die von der Beklagten gerügte alternative Klagehäufung liege nicht vor.
18Die Klage sei unbegründet. Es könne offenbleiben, ob der Kläger befugt sei, die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche in ihrer Gesamtheit zu verfolgen. Dies sei allerdings zweifelhaft. Der Kläger habe nicht schlüssig aufgezeigt, dass die streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen nicht wirksam iSd. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB in die zwischen der Beklagten und ihren Kunden geschlossenen Verträge einbezogen würden, so dass eine hierauf gestützte wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung ebenso wie ein Rechtsbruch im Sinne des § 3a UWG in Verbindung mit § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausschieden. Das legt das Landgericht im Einzelnen dar. Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgrund ihres Umfangs nicht hinreichend zur Kenntnis genommen werden könnten. Der Klägervortrag sei zu pauschal.
19Daher komme ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht in Betracht. Der Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Abmahnkosten bestehe vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht.
20Gegen dieses Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 3a UWG in Verbindung mit § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Kläger sei befugt, die Unterlassungsansprüche geltend zu machen; dem stehe § 1 UKlaG nicht entgegen. Zwar könnten lediglich Ansprüche nach den §§ 307 bis 309 BGB gemäß § 1 UKlaG geltend gemacht werden. Der Kläger mache aber einen Anspruch nach §§ 3, 8 Abs. 1 UWG geltend, der neben den Ansprüchen nach dem UKlaG stünde.
21Der Kläger müsse auch nicht einzelne Klauseln rügen, sondern könne auch die Einbeziehung eines ganzen Klauselwerkes angreifen, weil dieses aufgrund seines Umfangs nicht geeignet sei, dem durchschnittlichen Verbraucher zumutbar Kenntnis über den Inhalt zu verschaffen.
22§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei eine verbraucherschützende Norm im Sinne des § 3a UWG, was der Kläger näher darlegt. Europarechtliche Bedenken bestünden nicht, weil die Frage außerhalb des Anwendungsbereichs der UGP-Richtlinie liege.
23Die Beklagte verschaffe einem Durchschnittsverbraucher nicht die Möglichkeit, in zumutbarer Wiese vom Inhalt der Nutzungsbedingungen Kenntnis zu nehmen, weil die Bedingungen einen unvertretbar großen Umfang hätten, der durch die zu regelnde Materie nicht gefordert werde. Die Nutzungsbedingungen umfassten 83 Seiten in ausgedruckter Form.
24Aufgrund der fehlenden Aufteilung nach Nutzergruppen getrennt für Verbraucher und Händler enthielten die Nutzungsbedingungen zahlreiche Regelungen, die den angesprochenen Verbraucher nicht interessieren müssen. Die Beklagte habe auch die Pflichtinformationen nach Art. 246b § 1 EGBGB teilweise in die Nutzungsbedingungen integriert, was zu einer Belastung des Verbrauchers führe. Hinsichtlich verschiedener Ziffern legt der Kläger dar, welche Bestimmungen nicht erforderlich seien. Der Verbraucher benötige mehr als zwei Stunden, um die Geschäftsbedingungen zu lesen. Es komme hinzu, dass das Lesen der Bedingungen üblicherweise in elektronischer Form erfolge, was das Lesen und Erfassen zusätzlich erschwere.
25Die Nutzung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sei auch irreführend nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 und 7 UWG. Das Nutzen der Geschäftsbedingungen sei eine geschäftliche Handlung und die Beklagte täusche Verbraucher darüber, dass diese wirksam in den Vertrag einbezogen seien. Die entsprechende Darstellung sei keine Rechtsansicht, sondern eine Tatsachenbehauptung. Die Behauptung sei auch falsch, weil die Nutzungsbedingungen – wie dargelegt – nicht Vertragsbestandteil geworden seien.
26Der Anspruch ergebe sich – wie in erster Instanz dargelegt – auch aus § 3a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch der Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten sei gerechtfertigt.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Landgerichts Köln vom 25.06.2019 – 31 O 164/18 – zu ändern und die Beklagte gemäß den in der mündlichen Verhandlung am 04.06.2019 gestellten Anträgen zu verurteilen.
29Die Beklagte beantragt,
30 die Berufung zurückzuweisen.
31Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie rügt den Vortrag des Klägers in Bezug auf die einzelnen Klauseln als verspätet, bestreitet jedoch nicht, dass die Klauseln Gegenstand der angegriffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren.
32II.
33Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Zur Begründung kann auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden. Ergänzend ist aufgrund der Berufungsbegründung und -erwiderung folgendes auszuführen:
341. Die Klage ist zulässig. Die Klageanträge sind nicht aufgrund Unbestimmtheit unzulässig, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wie die Beklagte eingewandt hat.
35Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2017 – I ZR 194/15, GRUR 2017, 537 – Konsumgetreide, mwN). Aus diesem Grund sind Unterlassungsanträge, die lediglich den Wortlaut eines Gesetzes wiederholen, grundsätzlich als zu unbestimmt und damit unzulässig anzusehen. Abweichendes kann gelten, wenn entweder bereits der gesetzliche Verbotstatbestand selbst entsprechend eindeutig und konkret gefasst oder der Anwendungsbereich einer Rechtsnorm durch eine gefestigte Auslegung geklärt ist, sowie auch dann, wenn der Kläger hinreichend deutlich macht, dass er nicht ein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlauts beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert. Die Bejahung der Bestimmtheit setzt in solchen Fällen allerdings grundsätzlich voraus, dass sich das mit dem selbst nicht hinreichend klaren Antrag Begehrte im Tatsächlichen durch Auslegung unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers eindeutig ergibt und die betreffende tatsächliche Gestaltung zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt ist, sondern sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise beschränkt (vgl. BGH, GRUR 2017, 542 – Konsumgetreide).
36Weiter kann der Klageantrag auf die konkrete Verletzungsform bezogen werden. Dann bildet im Grundsatz diese den Streitgegenstand, unabhängig davon, ob der Kläger sich auf einzelne Rechtsverletzungen gestützt hat. Dem Kläger ist es allerdings nicht verwehrt, in Fällen, in den er eine konkrete Werbeanzeige unter verschiedenen Aspekten jeweils gesondert angreifen möchte, eben diese verschiedenen Aspekte im Wege der kumulativen Klagehäufung zu jeweils getrennten Klagezielen zu machen. In diesem Fall muss er die einzelnen Beanstandungen in verschiedenen Klageanträgen umschreiben, wobei er zur Verdeutlichung jeweils auf die konkrete Verletzungsform Bezug nehmen kann („wie geschehen in …“). In diesem Fall nötigt der Kläger das Gericht, die beanstandete Anzeige unter jedem der geltend gemachten Gesichtspunkte zu prüfen. Naturgemäß muss der Kläger einen Teil der Kosten tragen, wenn er nicht mit allen Klageanträgen Erfolg hat (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 – Biomineralwasser).
37Nach diesen Grundsätzen ist der Klageantrag hinreichend bestimmt gefasst. Der Kläger begehrt im Unterlassungsantrag die Unterlassung der Nutzung der durch eine Bezugnahme konkret zum Gegenstand des Antrags gemachten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in ihrer Gesamtheit. Der Kläger bestätigt durch die Klagebegründung, dass die Nutzung der allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Klageantrags sein sollen, ausdrücklich. Denn er rügt, dass aufgrund des Gesamtzusammenhangs der Darstellung und des Umfangs die von ihm näher ausgeführten Verstöße vorlägen.
38Der Kläger macht vor diesem Hintergrund auch deutlich, dass Gegenstand des Rechtsstreits nicht einzelne Klauseln sein sollen, so dass die Frage, ob eine einzelne Klausel aufgrund eines Verstoßes gegen AGB-rechtliche Bestimmungen unwirksam ist, auch nur im Rahmen der Prüfung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit zu erörtern ist. Streitgegenstand sind dann die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in ihrer Gesamtheit, so dass die Unwirksamkeit einer einzelnen Klausel der Klage nicht zum Erfolg verhelfen kann.
39Aus der Entscheidung „Biomineralwasser“ (BGHZ 194, 314) ergibt sich nichts anderes. Zwar stellt die konkret in Bezug genommene Verletzungshandlung den Streitgegenstand dar. Dies findet indes seine Grenze, wenn aufgrund der Klagebegründung – wie hier – unzweifelhaft auf die Gesamtheit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgestellt wird, so dass ein Verbot aufgrund einer Rechtsverletzung in einer einzelnen Klausel nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist.
40Es kommt hinzu, dass der BGH für die Frage der Irreführung angenommen hat, dass trotz der Bezugnahme auf eine konkrete Verletzungshandlung für den Streitgegenstand maßgeblich ist, welcher Verkehrskreis aufgrund welcher Fehlvorstellung in die Irre geleitet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 – Betriebspsychologe). So liegt der Fall auch im Zusammenhang mit dem Angriff gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit.
41Der Klageantrag ist vor diesem Hintergrund – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht aufgrund einer alternativen Klagehäufung unzulässig. Zutreffend ist, dass der Kläger seinen Unterlassungsanspruch nicht in zulässiger Form auf mehrere Streitgegenstände alternativ stützen kann. Wird aber die konkrete Verletzungshandlung angegriffen, so liegt darin der Gegenstand des Rechtsstreits. Dann umfasst der Streitgegenstand alle Rechtsverletzungen, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind (vgl. BGHZ 194, 314 – Biomineralwasser). Vorliegend macht der Kläger geltend, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten seien in ihrer Gesamtheit unverständlich und erheblich zu lang. Beide Angriffe beziehen sich auf die Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit, was zulässig ist. Der Kläger überlässt in diesem Fall dem Gericht die Entscheidung darüber, ob und aus welchem Grund die Nutzung der Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit zu untersagen ist, oder nicht.
422. Das Landgericht ist mit Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die Klage unbegründet ist.
43a) Das Landgericht hat mit Recht angenommen, dass ein Anspruch nach § 1 UKlaG nicht in Betracht kommt, weil sich der Kläger gegen die Geschäftsbedingungen der Beklagten in ihrer Gesamtheit richtet (vgl. Walker in Walker, UKlaG, 1. Aufl., § 1 Rn. 8). Das Verbandsklageverfahren ist nicht geeignet, die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einen Vertrag zu prüfen. Insoweit ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2007 – IV ZR 130/06, NJW 2008, 1160; OLG Köln, Urteil vom 05.05.2017 – 6 U 132/16, BeckRS 2017, 118537). Die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts greift der Kläger mit seiner Berufung auch nicht an.
44b) Ein Anspruch auf Unterlassung der Nutzung der konkret zum Gegenstand des Unterlassungsantrags gemachten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten aus § 8 Abs. 1 UWG besteht ebenfalls nicht.
45aa) Die Anwendung der Vorschrift des § 8 Abs. 1 UWG wird nicht durch § 1 UKlaG gesperrt, weil der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch sich von dem Anspruch nach § 1 UKlaG grundsätzlich unterscheidet (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 1 UKlaG Rn. 14, mwN).
46bb) Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 3, §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Dabei kann offenbleiben, ob es sich um eine Marktverhaltensregelung handelt und ob eine Anwendbarkeit europarechtlich zulässig ist. Jedenfalls hat der Kläger einen Verstoß gegen § 305 Abs. 1 BGB nicht hinreichend dargelegt.
47(1) Allerdings ist der Kläger gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG als eine qualifizierte Einrichtung, die in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen ist, aktivlegitimiert. Auch liegt jedenfalls in dem Angebot der Leistungen unter Zugrundelegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (vgl. BGH, Urteil vom 31.03.2010 – I ZR 34/08, GRUR 2010, 1117 – Gewährleistungsausschluss im Internet). Dies ist jedenfalls anzunehmen, wenn sich die Beklagte gegenüber ihren Kunden auf die entsprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen beruft.
48(2) Ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG liegt nicht vor. Der Kläger hat, unabhängig davon, ob eine Marktverhaltensregelung vorliegt und eine solche europarechtlich zulässig ist, einen Verstoß gegen § 305 Abs. 2 BGB allein aufgrund der Länge oder der Verständlichkeit der angegriffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt, was das Landgericht zutreffend angenommen hat.
49Allerdings erfolgt die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nach herrschender Meinung (vgl. hierzu Lehmann-Richter in BeckOGK BGB, Stand: 01.12.2019, § 305 Rn. 222) nicht, wenn diese inhaltlich nicht hinreichend transparent sind, so dass die Frage der übermäßigen Länge und Verständlichkeit im Rahmen der Vorschrift des § 305 Abs. 2 BGB zu prüfen ist. Ob der herrschenden Meinung insoweit zu folgen ist, kann allerdings offenbleiben, weil der Kläger nicht hinreichend dargelegt hat, dass eine Verletzung des Transparenzgebots erfolgt.
50Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot und eine nicht wirksame Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann anzunehmen sein, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts einen vertretbaren Umfang überschreiten (vgl. Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 305 Rn. 78). Zu berücksichtigen ist, dass die Verbraucher sich an Vertragsabschlüsse über das Internet gewöhnt haben. Das Internet stellt im Ausgangspunkt eine übersichtliche Oberfläche dar, die es dem Kunden ermöglicht, Texte zu vergrößern und sich – auch da kein Druck entsteht, wie er etwa bei der Bedienung durch eine natürliche Person angenommen werden könnte – intensiv mit dem Klauselwerk auseinander zu setzen (vgl. Basedow in MünchKomm/BGB aaO, § 305 Rn. 75). Soweit die Informationszeit länger sein muss, wenn das Klauselwerk umfangreich ist (vgl. Becker in BeckOK BGB, 52. Edition, § 305 Rn. 60), ist dies für den Vertragsschluss im Internet von untergeordneter Bedeutung, weil dem Verbraucher selbst überlassen bleibt, wie lange er sich mit dem Klauselwerk auseinandersetzt. Für die Frage, ob eine Kenntnisnahme zumutbar ist, ist darüber hinaus auf die jeweilige Vertragsart und die Üblichkeit in dem jeweiligen Bereich abzustellen (vgl. Becker in BeckOK BGB aaO, § 305 Rn. 63).
51Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger einen die Zumutbarkeit der Kenntnisnahme überschreitenden Umfang der konkret zum Gegenstand des Klageantrags gemachten Geschäftsbedingungen nicht dargelegt. Allein auf die erhebliche Seitenzahl von 83 Seiten in ausgedruckter Form kann nicht abgestellt werden. Es ist auch – was die Beklagte umfassend dargelegt hat – zu berücksichtigen, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten dazu geschaffen wurden, die Abwicklung einer Zahlung zwischen fünf verschiedenen Personen zu ermöglichen. Denn an einem Zahlungsvorgang sind neben dem Zahlenden, dem Empfänger der Zahlung und der Beklagten als Dienstleister auch die jeweils von den Kunden zu wählenden Zahlungsmethoden zu berücksichtigen, die – etwa über eine Einzugsermächtigung, aber auch über die Zahlung mit einer Kreditkarte – über weitere Personen wie Banken abgewickelt werden.
52Entgegen der Ansicht des Klägers kann in diesem Zusammenhang nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher im Rahmen eines Zahlungsvorgangs immer allein derjenige ist, der die Zahlung leistet. Vielmehr ist der Verbraucher regelmäßig auch Zahlungsempfänger, sei es, weil er eine Rückerstattung – etwa nach Widerruf – erhält, sei es, weil er als Verkäufer beispielsweise über eBay Kleinanzeigen in privatem Rahmen Verkäufe getätigt hat und die Zahlung über den Dienst der Beklagten abgewickelt wird. Soweit der Kläger gegenteiliges vorgetragen hat, ist dies allgemeinbekannt nicht zutreffend.
53Auch die Einbeziehung von Zusatzbedingungen führt – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht zu einer Unzumutbarkeit der Kenntnisnahme. Denn die Gestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist insoweit übersichtlich gehalten, so dass der Verbraucher erkennen kann, dass diese für ihn nicht von Bedeutung sind.
54Soweit der Kläger meint, die Klauseln seien nicht hinreichend verständlich und dies mit der Ermittlung eines Verständlichkeitsindexes begründet, ist der Vortrag ebenfalls nicht hinreichend substantiiert. Denn die Frage, ob Allgemeine Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit unzulässig sind, richtet sich nach zahlreichen Faktoren, die nicht im Rahmen eines pauschalen Indexes wiedergegeben werden können. So kann etwa die Verwendung von Fremdwörtern auch dann zulässig sein, wenn diese hinreichend erläutert werden.
55Soweit der Kläger im Rahmen der Berufung einzelne Klauseln nennt, die aus seiner Sicht überflüssig sind, kann dies schon im Ausgangspunkt nicht dazu führen, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit mit der Begründung zu verbieten, die Lektüre sei unzumutbar. Denn der Kläger hat einzelne Klauseln bewusst nicht angegriffen. Prüfungsmaßstab ist daher alleine, ob die vom Kläger benannten Klauseln belegen können, dass die angegriffenen Geschäftsbedingungen insgesamt eine unzumutbare Länge aufweisen. Die Benennung der wenigen Klauseln im Rahmen des Gesamtwerks ist hierfür nicht ausreichend.
56Die Prüfung der Klauseln führt letztlich zu keinem anderen Ergebnis. Allerdings handelt es sich insoweit – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht um neuen Tatsachenstoff, der präkludiert wäre. Zum einen war der Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereits Gegenstand des Vortrags in erster Instanz. Zum anderen ist die Existenz der Geschäftsbedingungen unstreitig, so dass diese der Prüfung – unabhängig von einer etwaigen Verspätung – zugrunde zu legen sind.
57Zahlreiche Klauseln werden von dem Kläger angegriffen, weil diese sich nur an Händler richteten. Dies ist – wie dargelegt – bereits im Ausgangspunkt nichtzutreffend, weil auch Verbraucher als Zahlungsempfänger zu berücksichtigen sind. Soweit noch einzelne Klauseln unzulässig sein könnten, ist dies nicht Gegenstand des Verfahrens (s.o.).
58cc) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 3, §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 3 und 7 UWG.
59Ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot, weil die Beklagte über die Wirksamkeit der Geschäftsbedingungen getäuscht hat, kommt nicht in Betracht. Denn die zum Gegenstand des vorliegenden Unterlassungsantrags gemachten Geschäftsbedingungen täuschen nicht darüber, dass sie wirksam vereinbart worden sind. Es kommt hinzu, dass das Irreführungsverbot nicht dazu dient, die Verwendung von unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unterbinden. Derjenige, der eine unzulässige Geschäftsbedingung verwendet, führt deswegen noch nicht in die Irre (vgl. Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 5 Rn. 8.15).
60dd) Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten folgt schließlich nicht aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 3, §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 S. 2 BGB aufgrund eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot.
61Allerdings handelt es sich bei § 307 BGB um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG, die auch eine Grundlage im Unionsrecht hat (vgl. v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl., § 3a Rn. 70, mwN).
62Der Kläger hat einen Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten jedoch nicht hinreichend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insoweit auf die Ausführungen zu § 305 Abs. 2 BGB verwiesen werden.
63Die Beklagte führt auch mit Recht an, dass die Transparenz nicht auf die gesamten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten bezogen werden kann. Vielmehr ist der Prüfungsmaßstab, ob einzelne Klauseln, ggf. auch in ihrem Zusammenspielt mit anderen Klauseln – etwa durch Verweise und die dadurch nicht mehr gewährleistete Übersichtlichkeit (vgl. Wurmnest in MünchKomm/BGB aaO, § 307 Rn. 60 ff, mwN) – nicht hinreichend transparent sind.
64c) Der Annexanspruch auf Zahlung der Abmahnkosten folgt dem Schicksal des Unterlassungsanspruchs.
653. Die Kosten der Berufung sind gemäß § 97 ZPO vom Kläger zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
664. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Vielmehr beruht die Entscheidung darauf, dass der Kläger einen der von ihm gerügten Verstöße nicht hinreichend dargelegt hat.
675. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt. Dies entspricht dem zehnfachen des für eine einzelne Klausel im Regelfall als angemessen anzusehenden Streitwerts.
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 22.04.2025, Az. 11 U 68/23 (Kart)
§ 32 ZPO, § 38 ZPO, § 40 ZPO, § 280 ZPO, § 513 Abs 2 ZPO
Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass für Klagen, die Ansprüche wegen Verstößen gegen die Verbote der §§ 1,19, 20, 21 GWB zum Gegenstand haben, ein generelles Derogationsverbot (Verbot einer Gerichtsstandsvereinbarung) gilt, das nur durch Sonderregelungen wie die Brüssel-Ia-VO durchbrochen wird. Dies folge, so der Senat, aus dem vom Gesetz gewollten Anwendungsvorrang des deutschen Kartellrechts vor dem Recht anderer Staaten, durch den nicht nur die grundsätzliche Anwendung deutschen Rechts, sondern die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlerfreie Beurteilung des Falls durch den Instanzenzug gesichert werden solle. Gegen die Entscheidung liegt eine Revision beim BGH vor (Az. KZR 18/25). Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Frankfurt a.M.
Urteil
…
Die Berufung der Beklagten gegen das am 5. Juli 2023 verkündete Zwischenurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, 2-06 O 257/21, wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können eine Vollstreckung der Klägerinnen aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil für die Klägerinnen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Gegenstand der Berufung der Beklagten ist ein Zwischenurteil des Landgerichts, mit dem dieses seine internationale und örtliche Zuständigkeit gegenüber beiden Beklagten ausgesprochen hat.
Die Auseinandersetzung zwischen den Parteien betrifft die Frage, ob eine den dreizehn klagenden deutschen Sparkassen im von den Beklagten betriebenen VISA-Kartensystem gemachte Vorgabe mit dem deutschen Kartellrecht vereinbar ist. Danach ist es den Klägerinnen untersagt, mit Inhabern von Zahlungskarten der Marken „VISA“ und „V Pay“, die von anderen Kreditinstituten ausgestellt worden sind, ein Entgelt für den Bargeldbezug an Geldautomaten der jeweiligen Klägerin zu vereinbaren. Die Klägerinnen halten dies für unzulässig und machen gegen die Beklagten im Wege der Feststellungsklage Schadensatzansprüche wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot und kartellrechtliche Missbrauchsverbote geltend. Die Feststellungsanträge stellen auf Schäden ab, die den Klägerinnen dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass sie Bargeld zur Abhebung an Geldautomaten bereitgestellt haben oder bereitstellen werden.
Die Beklagte zu 1) hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Sie schloss unter dem 01.12.2015 mit dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V. (DSGV), im Vertrag „Nutzer“ genannt, ein in englischer Sprache abgefasstes „Membership Deed“ (Mitgliedschaftsvereinbarung), das unter Nr. 22.1 bestimmt, dass „diese Vereinbarung und sämtliche außervertraglichen Verpflichtungen aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung (…) englischem Recht“ unterliegen und nach diesem auszulegen sind. Nach Nr. 22.2 erklären der „Nutzer“ und die Beklagte zu 1) („Visa Europe“) „ihre unwiderrufliche Zustimmung dahingehend, dass für die Entscheidung möglicher Rechtsstreitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung ausschließlich die Gerichte von bzw. in England zuständig sind und dass dementsprechend sämtliche Klagen aus oder in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung vor diesen Gerichten zu erheben sind.“ Ob die englischsprachige Wendung „courts of England“ mit „Gerichte in England“ (so die Beklagten) oder mit „Gerichte von England“ (so die Klägerinnen) zu übersetzen ist, ist streitig.
Hinsichtlich des genauen Inhalts des Membership Deed wird auf die im Übrigen unstreitige beglaubigte Übersetzung Bl. 399 ff. d.A. (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 23.05.2022 [Zuständigkeitsrüge]; Kopie des englischsprachigen Originals Bl. 419 ff d.A.) Bezug genommen. Das Deed selbst lässt ein Handeln im fremden Namen nicht erkennen, doch ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die in Kopie und Übersetzung vorgelegte Urkunde nicht einen den DSGV selbst betreffenden Vertrag über dessen Mitgliedschaft als „Principal Member“ zum Gegenstand hat, sondern das „Associate Membership Deed“ darstellt, das die Mitglieder des DSGV, u.a. die Klägerinnen, betreffen soll (vgl. Nr. 3.1 des Deed). Es wird durch den „Side Letter“ (Nebenvereinbarung) vom 02.09.2015 ergänzt, den der DSGV im Namen seiner Mitglieder, u.a. der Klägerinnen, „im Zusammenhang mit dem Membership Deed“ (Schriftsatz der Beklagten vom 23.05.2022 [Zuständigkeitsrüge] S. 4, Bl. 373 d.A.) abschloss. Für den genauen Inhalt des Side Letters, der vom DSGV am 03.09.2015 und von der Beklagten zu 1) am 01.12.2015 unterzeichnet worden ist, wird auf die beglaubigte Übersetzung Bl. 449 ff. d.A. (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 23.05.2022 [Zuständigkeitsrüge]) Bezug genommen.
Die Klägerinnen hatten dem DSGV zuvor schriftlich zweisprachige Vollmachten erteilt. Die Vollmachten sollen nach ihrem Wortlaut deutschem Recht unterliegen und am 31.12.2015 erlöschen. Sie beziehen sich in der ausdrücklich für maßgeblich erklärten deutschen Fassung auf die „notwendigen und als Anlage zum Vertrag beigefügten Dokumente“. Der englische Text spricht davon, den DSGV zu autorisieren (to authorize, bevollmächtigen) „to complete and to sign the attached documents of Visa“. Für den genauen Wortlaut der Vollmachten wird auf die Anlage B3, Bl. 485 ff. d.A., Bezug genommen.
Bei Abschluss des Associate Membership Deed war die Beklagte zu 1) mitgliedschaftlich verfasst. Sie stand im wirtschaftlichen Eigentum europäischer Banken und Zahlungsverkehrsdienstleister. Im Jahr 2016 erwarb die Beklagte zu 2), die ihren Sitz im US-Bundesstaat Delaware hat, alle Anteile an der Beklagten zu 1), die nunmehr eine 100prozentige Tochter der Beklagten zu 2) ist. Dies erfolgte durch Ausübung des Rechts aus dem im Membership Deed berücksichtigten Optionsvertrag aus dem Jahr 2007 am 21.06.2016. Nach Nr. 10.2 des Membership Deed sollte dieses durch die Optionsausübung mit sofortiger Wirkung beendet werden. Nach Nr. 12.2 sollten danach allerdings die Bestimmungen der Nr. 1, 5, 7, 8 und 12-22 vollumfänglich in Kraft bleiben.
Vor der Ausübung des Optionsrechts unterrichtete die Beklagte zu 1) die Mitgliedsbanken mit Schreiben vom 08.06.2016, Anlage K13, Bl. 813 ff. d.A., auf die für den englischen Text Bezug genommen wird, dass sich dadurch die Mitgliedschaftsregeln geändert hätten („… have been amended“). Dann werden Änderungen des Regelungswerks dargestellt. Auf Seite 2 dieses Schreibens heißt es gemäß der unstreitigen Übersetzung der Beklagten (Schriftsatz vom 11.11.2022, S. 22, Bl. 850 d.A.), wobei „Membership Deed“ mit „Mitgliedschaftsurkunden“ übersetzt ist:
„Die grundlegenden Lizensierungsdokumente (…) gelten auch nach Abschluss der Transaktion weiter. Insbesondere werden die Mitgliedschaftsurkunden, die Markenlizenzvereinbarung, die Technologielizenzvereinbarung und die Sponsoringurkunde (falls vorhanden) weiterhin die Rechte und Pflichten der Mitglieder definieren, mit Ausnahme des Umfangs, in dem sie sich auf die Beteiligung der Mitglieder an A oder auf die Satzung von A beziehen.“
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 01.11.2022, Bl. 825 d.A., die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet. Mit dem angefochtenen Zwischenurteil, auf das hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sowie der erstinstanzlichen Klageanträge und der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat es seine internationale und örtliche Zuständigkeit bejaht. Es hat ein kartellrechtliches Derogationsverbot angenommen, aufgrund dessen die Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche unwirksam sei.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die auch die Beklagte zu 2) als in die Gerichtsstandsvereinbarung einbezogen ansehen. Die Beklagten erstreben die Abweisung der Klage, die sie mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für unzulässig halten.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des am 5. Juli 2023 verkündeten Zwischenurteils der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, Az. 2-06 O 257/21, die Klage vollumfänglich abzuweisen;
hilfsweise den Rechtsstreit unter Aufhebung des Zwischenurteils zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 ZPO).
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 511 I, II, 517, 519, 520 ZPO.
2. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
a) Das Zwischenurteil des Landgerichts begegnet nicht deshalb verfahrensrechtlichen Bedenken, weil das Landgericht nur über die internationale und örtliche Zuständigkeit und nicht insgesamt über die Zuständigkeit oder die Zulässigkeit der Klage entschieden hat.
§ 280 ZPO ist nicht dahin auszulegen, dass in einem Zwischenurteil zwingend stets über alle Elemente der Zulässigkeit der Klage zu entscheiden wäre. Eine Entscheidung durch Zwischenurteil über lediglich eine oder einzelne Zulässigkeitsvoraussetzungen kann im Einzelfall sachgerecht sein (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2005 – IX ZR 219/03, juris, Rn. 8). Im Streitfall bestand kein Anlass, auch über die sachliche Zuständigkeit zu befinden, weil diese bei Annahme der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte unproblematisch gegeben und von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen worden ist. Es war auch sachgerecht, noch nicht über die Zulässigkeit insgesamt zu entscheiden, weil es insofern, insbesondere hinsichtlich des Feststellungsinteresses, auf Umstände ankommt, zu denen im Rahmen des weiteren Verfahrens – auch im Hinblick auf die Begründetheit – noch vorgetragen werden könnte.
b) Die Überprüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat ist auf die Frage der internationalen Zuständigkeit beschränkt. Insoweit steht § 513 II ZPO nicht entgegen; die Norm erfasst nur die Bejahung der sachlichen, örtlichen und funktionalen Zuständigkeit des Gerichts (vgl.BGH, Urteil vom 16. 12. 2003 – XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456, 1457).
Auf eine irrige Annahme der örtlichen Zuständigkeit kann die Berufung nach § 513 II ZPO danach jedoch nicht gestützt werden. Dies wird von der Rechtsprechung nur in den Fällen in Zweifel gezogen, in denen internationale und örtliche Zuständigkeit von denselben Voraussetzungen abhängen (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397). So liegt der Fall aber nicht. Die Derogation hängt nur davon ab, ob eine wirksame, den Rechtsstreit erfassende Gerichtsstandsvereinbarung gegeben ist. Ist eine Derogation nicht anzunehmen, hängt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte davon ab, ob sich der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung des § 32 ZPO an irgendeinem Ort in Deutschland befindet, wohingegen es für die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main als Kartellgericht darauf ankommt, ob dieser Gerichtsstand gerade in Frankfurt am Main ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.3.2015 – VI ZR 11/14, NJW-RR 2015, 941 Rn. 17). Abgesehen davon bestehen im Falle der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegen die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main keine Bedenken; die Berufung macht insoweit auch nichts geltend.
c) Das Landgericht hat für den Fall, dass keine vorrangige Gerichtsstandsvereinbarung zu beachten ist, zu Recht angenommen, dass die sich dann gem. Art. 6 I Brüssel-Ia-VO nach deutschem nationalen Recht richtende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte analog § 32 ZPO gegeben ist. Denn die Klägerinnen sind durch das streitgegenständliche, ggfls. deliktische Handeln der Beklagten in ihren in Deutschland liegenden Geschäftsgebieten nachteilig betroffen und einschlägige, vorrangig zu beachtende, internationale Übereinkommen über die Zuständigkeit bestehen nicht.
d) Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht aufgrund der im Membership Deed enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung zu verneinen ist.
aa) Die Gerichtsstandsvereinbarung wurde zwischen den Klägerinnen und der Beklagten zu 1) zunächst wirksam vereinbart und erfasste insoweit Rechtsstreitigkeiten, die auf die ursprüngliche, durch die Optionsausübung auflösend bedingte Vereinbarung zurückzuführen sind. Demgegenüber ist für die Zeit nach der unstreitig erfolgten Optionsausübung am 21.06.2016 eine wirksam zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung nicht gegeben.
(1) Die Berücksichtigung der Gerichtsstandsvereinbarung im vorliegenden Verfahren setzt voraus, dass diese nach dem bei ihrem Abschluss geltenden Recht wirksam zustande gekommen und dass sie nach dem bei Klageerhebung geltenden Recht zu beachten ist.
Im Dezember 2015, in dem das Membership Deed abgeschlossen worden ist, war das Vereinigte Königreich noch Mitglied der Europäischen Union. Daher ist hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an das Zustandekommen der Vereinbarung zunächst Art. 25 der „Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ – nachfolgend Brüssel-Ia-VO – anzuwenden.
Das deutsche nationale Recht, insb. §§ 38, 40 ZPO, ist nur für die Frage maßgeblich, ob die ursprünglich wirksam zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung auch nach Ablauf der Brexit-Übergangszeit von deutschen Gerichten zu beachten ist, denn inzwischen ist das Vereinigte Königreich aufgrund seines Austritts aus der Europäischen Union kein Mitgliedsstaat im Sinne des Art. 25 Brüssel-Ia-VO mehr. Die bis zum 31.12.2020 währende Übergangszeit der Art. 126, 67 I lit. a des „Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft“ (ABl. EU 2020 L 29/7), während der die Brüssel-Ia-VO weiter anzuwenden war, war bei Klageerhebung bereits abgelaufen; die Klageschrift stammt aus dem Jahr 2021.
Für das Unionsrecht ist allerdings nicht abschließend geklärt, ob für die Prüfung der Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel-Ia-VO auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder der Klageerhebung – zu dem die Brüssel-Ia-VO auf den Streitfall keine Anwendung mehr findet – abzustellen ist (vgl. Stein/Thole, 23. Aufl. 2022, EuGVVO Art. 25 Rn. 131; Geimer/Schütze EurZivilVerfR/Geimer, 4. Aufl. 2020, EuGVVO Art. 25 Rn. 25; BeckOK ZPO/Gaier, 55. Ed. 1.12.2024, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 56). Jedenfalls für die Frage der Formwahrung kann es jedoch nur auf den Zugang der Willenserklärungen ankommen, weil es nur durch diese zu einer formwirksamen Einigung kommen kann.
Aber auch, wenn dies unionsrechtlich anders zu beurteilen sein sollte, kann nach den im Streitfall für die heutige Berücksichtigungsfähigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblichen § 38 I, II ZPO nur eine Vereinbarung anerkannt werden, die im Zeitpunkt der Vereinbarung wirksam war.
Denn § 38 I ZPO stellt sogar für die persönlichen Voraussetzungen der Norm auf diesen Zeitpunkt ab (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 38 Rn. 11; MüKo-ZPO/Jungmann, 7. Aufl. 2025, § 38 Rn. 161; BeckOK ZPO/Toussaint, 55. Ed. 1.12.2024, ZPO § 38 Rn. 28) und es ist im deutschen Recht allgemein anerkannt, dass es für die Wirksamkeit von Vereinbarungen auf den Zeitpunkt des Zugangs der sie konstituierenden Willenserklärungen ankommt. § 38 ZPO schließt deshalb die Berücksichtigung nicht wirksam getroffener Gerichtsstandsvereinbarungen auch dann aus, wenn die Vereinbarung wegen Änderungen des gesetzlichen Regelungsregimes zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Weise hätte getroffen werden können. Damit führt der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nicht dazu, dass bislang unwirksame Gerichtsstandsvereinbarungen ohne erneute Willensbetätigung der Beteiligten wirksam werden.
(2) Nach Art. 25 I 3 Brüssel-Ia-VO muss eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen werden:
a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten
und ist gemäß Absatz 5 eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln.
Besondere zwischen den Parteien geltende, bereits früher entstandene Gepflogenheiten oder einen internationalen Handelsbrauch machen die Parteien nicht geltend. In Betracht kommt daher nur eine Formwahrung nach lit. a (schriftliche oder sog. halbschriftliche Form). Dabei stehen gemäß Art. 25 II Brüssel-Ia-VO elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleich.
(3) Hinsichtlich des ursprünglich zwischen den Klägerinnen und der Beklagten zu 1) abgeschlossenen Membership Deed ist die Schriftform trotz des in der Vertragsurkunde fehlenden Verweises auf ein Handeln im Namen und in Vollmacht der Klägerinnen gewahrt. Dass das Deed insoweit im Namen der Klägerinnen geschlossen wurde, ergibt sich aus dem ebenfalls der Schriftform genügenden Side Letter.
Ob die schriftlichen Vollmachten den Abschluss des Deed umfassten, bedarf keiner Entscheidung. Dies ist zweifelhaft, weil der verbindliche deutsche Text der Vollmachten auf „Anlagen zum Vertrag“ Bezug nimmt. Versteht man unter dem Vertrag das Deed, ist es selbst keine solche Anlage und sollte daher nur zwischen dem DSGV und der Beklagten zu 1) bestehen. Versteht man unter dem „Vertrag“ wegen des englischen Textes die Vollmacht – obwohl diese einseitig erteilt ist – bezieht sich die Vollmacht nur auf Dokumente, die der Vollmacht beigefügt waren; die Klägerinnen haben im Verhandlungstermin vor dem Senat in Abrede gestellt, dass den Vollmachten Anlagen beigefügt waren. Jedenfalls haben aber die Klägerinnen durch die Teilnahme am Visa-Kartensystem das tatsächliche Vertreterhandeln des DSGV genehmigt. Dass sie über die Vertragskonstruktion unzutreffend informiert gewesen wären, machen die Klägerinnen nicht geltend.
(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst die bei dem ursprünglichen Abschluss des Deed vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung Schadensersatzansprüche aus der Zeit ab Ausübung der Option nicht.
Das Deed ist gemäß seiner Nr. 10.2, 12.2 durch die Ausübung der Option mit diesem Zeitpunkt für die Zukunft zunächst außer Kraft getreten. Davon waren zwar bestimmte Regelungen, u.a. die Gerichtsstandsklausel der Nr. 22.2 gem. Nr. 12.2 des Deed ausgenommen. Diese fortgeltenden Regelungen hatten aber nur für nachvertragliche Pflichten und für bei Außerkrafttreten bereits begründete (Schadensersatz-) Ansprüche, also für bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Bargeldauszahlungen, Bedeutung. Auch die Beklagten gehen davon aus, dass sich diese Fortgeltung auf nachvertragliche Pflichten und die Abwicklung des Vertragsverhältnisses bezog (so ausdrücklich Schriftsatz der Beklagten vom 11.11.2022, S. 20 f., Bl. 848 f. d.A.). Dies ist zutreffend, weil die Klägerinnen ohne Folgevereinbarung mit der Beendigung des Deed aus dem VISA-Kartensystem ausscheiden müssten und es nach dem Regelungsplan des Deed daher keiner Fortgeltung bedurfte, die über nachvertragliche Pflichten und die Vertragsabwicklung hinausging.
Dass die ursprüngliche Gerichtsstandsvereinbarung sich anschließende Folgeverträge nicht erfasst, wird auch dann deutlich, wenn man den Fall mit einer hypothetischen Konstellation vergleicht, in dem ein neu verhandelter – nach dem Vorbringen der Beklagten ursprünglich (mit Gerichtsstandsklausel) beabsichtigter (Schriftsatz vom 07.03.2025, S. 5, Rn. 16, Bl. 1691 d.A.) – Folgevertrag Gerichtsstandsfragen unerwähnt lässt. Dann wäre offensichtlich, dass das neue Rechtsverhältnis nicht den Regelungen des Altvertrages unterliegen soll, zumal die Gerichtsstandsklausel in Nr. 12.2 des Deed ausdrücklich auf „diese Vereinbarung“ bzw. „this Deed“ und nicht allgemein auf Auseinandersetzungen wegen der Teilnahme der Klägerinnen am Visa-Kartensystem abstellt.
Im Übrigen liegt, wenn man die Begründetheit der Klage unterstellt, im erneuten Abschluss eines kartellrechtswidrige (allgemeine Geschäfts-) Bedingungen einschließenden Vertrages und der Umsetzung des neuen Vertrags ein erneuter Kartellrechtsverstoß und setzt sich nicht nur der frühere, durch die vorhergehende Vertragsbeendigung beendete Verstoß fort.
(5) Für die Folgezeit bedurfte es nicht nur des wirksamen Neuabschlusses des Deed, sondern – sofern gewünscht – auch der Gerichtsstandvereinbarung. Während der Neuabschluss des Deed möglicherweise nach englischem Recht formfrei möglich war, ist der Neuabschluss der Gerichtsstandsvereinbarung an der 2016 weiter gültigen Formvorschrift des Art. 25 I 3 Brüssel-Ia-VO zu messen.
(6) An einer solchen formgerechten neuen Gerichtsstandsvereinbarung fehlt es.
(aa) Eine Vereinbarung über die Folgezeit ist nicht im Zuge des Schreibens der Beklagten zu 1) vom 08.06.2016 noch vor Ausübung der Option am 21.06.2016 zustande gekommen.
Das Schreiben ist nicht auf einen neuen (zustimmungsbedürftigen) Vertragsschluss gerichtet, sondern teilt einseitig bereits erfolgte angebliche Änderungen mit. Die einseitigen Erklärungen genügen allein nicht den Anforderungen des Art. 25 I 3 lit. a der Brüssel-Ia-VO, weil eine ihnen vorangegangene entsprechende Einigung mit den Parteien nicht dargetan ist. Die einseitige Mitteilung erfüllt bei einer vorangegangenen feststehenden Einigung die notwendige Form, ersetzt aber nicht die Einigung selbst. Eine solche Einigung vor dem Schreiben – oder überhaupt vor der Optionsausübung am 21.06.2016 – ist nicht vorgetragen und ein stillschweigender Neuabschluss des Deed durch weitere Beteiligung der Klägerinnen am Visa-Kartensystem kann erst durch das Handeln nach Eintritt der Beendigung des bisherigen Deed erfolgt sein.
Etwas anderes folgt nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.11.1986, Rs. 313/85 zu Art. 17 EuGVÜ aF. Der Gerichtshof hat dort ausgeführt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen, die zu einer Gesamtheit von Bestimmungen gehören, die stillschweigend aus einem abgelaufenen früheren schriftlichen Vertrag übernommen worden sind und die weiter als rechtliche Grundlage für die vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien gedient haben, den Formerfordernissen des Art. 17 EuGVÜ nur (Hervorhebung nur hier) dann genügen, wenn eine der beiden Parteien die Gerichtsstandsvereinbarungen oder die Gesamtheit der Vertragsbestimmungen, zu denen sie gehört, schriftlich bestätigt hat, ohne dass die andere Partei, der diese Bestätigung zugegangen ist, Einwendungen dagegen erhoben hätte (EuGH, Urteil vom 11. November 1986 – Rs. 313/85, NJW 1987, 2155, vorletzter Absatz). Der Gerichtshof hat dies damit begründet, dass nach seiner Rechtsprechung im Falle einer nicht schriftlich getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung den Erfordernissen des Art. 17 EuGVÜ genügt sei, wenn eine von einer, gleich welcher, der Parteien stammende schriftliche Bestätigung dieser Vereinbarung der anderen zugegangen sei und diese nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben habe. Er hat sich auf sein Urteil vom 11.07.1985 in der Rs 221/84 – „Berghöfer“ (BeckRS 2004, 72394 [sic!]) bezogen, in dem vorausgesetzt wird, dass die tatsächliche Einigung feststeht.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung vom 11.11.1986 in Übereinstimmung mit dem Wortlaut („nur“) dahin zu verstehen, dass entweder die tatsächliche frühere (ausgelaufene oder auslaufende) Einigung über die formbedürftige Klausel oder über die ganze unverändert fortgeltende Vereinbarung erforderlich ist und dass die ohne erneute Einigung erfolgende Erklärung, der alte Vertrag gelte unter Modifikationen fort, nicht genügt. Die Entscheidung ist danach entgegen der Auffassung der Beklagten, die in ihrem Schriftsatz vom 07.03.2025, S. 6, Bl. 1692 d.A., nur die Beantwortung der Vorlagefrage (EuGH, Urteil vom 11. November 1986 aaO im letzten Absatz), nicht aber deren Herleitung im vorangehenden (vorletzten) Absatz zitieren, nicht auf den Streitfall übertragbar, weil auch nach dem Beklagtenvorbringen nicht alle Bestimmungen des bisherigen Vertragsverhältnisses fortgelten sollen, sondern diejenigen, die sich auf die Beteiligung der Mitglieder an der Beklagten zu 1) oder deren Satzung beziehen, wegfallen sollen. Die schriftliche Bestätigung geht gerade nicht dahin, an der früheren Einigung trotz der formal erfolgten oder bevorstehenden Beendigung des Altvertrages unverändert weiter festhalten zu wollen. Sie hat damit nicht die Bestätigung der früheren Einigung auch für die Folgezeit zum Gegenstand, sondern vielmehr – worin auch immer die ausgeklammerten Regelungen konkret bestehen mögen – eine Vereinbarung mit abweichendem Inhalt, hinsichtlich der die vorherige feststehende Einigung nicht dargetan ist.
(bb) Die Beklagten tragen auch für die Zeit nach der Optionsausübung keine anderen (wechselseitigen) schriftlichen Erklärungen – Angebot und Annahme – vor, durch die die Fortgeltung des Deed oder der Gerichtsstandsvereinbarung durch die erneute Begründung der Vereinbarungen herbeigeführt worden wäre.
(7) Danach kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 2) in die Gerichtsstandsvereinbarung einbezogen ist.
Hinsichtlich des ursprünglichen Deed kommt es auf diese Frage nicht an, weil dieses am 21.06.2016 beendet wurde und die Beklagte zu 2) nur für Schadensfälle ab dem 01.07.2016 in Anspruch genommen wird. Für die Folgezeit kommt es auf eine Einbeziehung der Beklagten zu 2) in eine etwaige erneute Gerichtsstandsvereinbarung nicht an, weil diese Vereinbarung schon unabhängig von dieser Frage nicht in der notwendigen Form errichtet worden ist.
bb) Die Beklagten können sich unabhängig davon aber auch deshalb nicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen, weil die streitgegenständlichen kartellrechtlichen Ansprüche in diese nicht einbezogen sind.
Dies folgt aus dem für die Auslegung der Vereinbarung maßgeblichen, bei ihrem Zustandekommen noch geltenden, Unionsrecht.
(1) Für das nationale deutsche Recht hat der Bundesgerichtshof vor Inkrafttreten der Rom-I-VO auf Grundlage der damaligen Art. 27 ff. EGBGB entschieden, dass das Zustandekommen einer (nicht isolierten, sondern in weitergehende materiellrechtliche Absprachen eingebetteten) Gerichtsstandsvereinbarung nach den Regeln des internationalen Privatrechts zu beurteilen sei (BGH, Urteil vom 30.05.1983 – II ZR 135/82, juris, Rn. 12). Er hat insoweit auf Grundlage des deutschen internationalen Privatrechts die Maßgeblichkeit derjenigen Rechtsordnung angenommen, nach der sich das zugehörige, den Inhalt des gesamten Vertrages bildende materielle Rechtsverhältnis der Parteien richte; dies gelte auch für eine die deutsche Gerichtsbarkeit derogierende Vereinbarung (BGH, Urteil vom 18. März 1997 – XI ZR 34/96, juris, Rn. 13). Dazu hat er auch die Frage gezählt, ob die Gerichtsstandsvereinbarung auf die internationale Zuständigkeit des Landes beschränkt werden kann oder zwingend das zuständige Gericht ausdrücklich bezeichnet werden muss (aaO Rn. 16).
Dass sich die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil einer umfassenderen Übereinkunft ist, nach dem Recht des Hauptvertrages richte, nimmt der Bundesgerichtshof auch für Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO an, soweit diese Norm keine Maßgaben und Vorgaben enthalte (BGH, Urteil vom 10.02.2021 – KZR 66/17 „Wikingerhof“, juris, Rn. 20). Er führt damit die noch Art. 23 der früheren Brüssel-I-VO betreffende Rechtsprechung fort (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.12.2018 – IX ZR 22/18, juris, Rn. 25, auf das sich BGH „Wikingerhof“ aaO beruft).
Dies berücksichtigt nicht hinreichend, dass die heutige Regelung in Art. 25 Brüssel-Ia-VO, d.h. der VO Nr. 1215/2012, im Gegensatz zu ihrer (im Januar 2015 außer Kraft getretenen, vgl. Art. 80, 81 Brüssel-Ia-VO) Vorläuferregelung in Art. 23 I der Brüssel-I-VO (VO (EG) Nr. 44/2001) eine eigenständige Kollisionsnorm enthält, die auch im 20. Erwägungsgrund der neuen Verordnung erwähnt wird. Nach dem 20. Erwägungsgrund der Brüssel-Ia-VO und deren Art. 25 I 1 richtet sich die Unwirksamkeit nach dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich seines Kollisionsrechts (im Streitfall damit ebenfalls nach englischem Recht).
Die Regelung ist dahin zu verstehen, dass die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung zu vermuten ist, wenn sie die Formerfordernisse des Art. 25 Brüssel-Ia-VO wahrt; d.h. die Form indiziert die Wirksamkeit, gegen die die Unwirksamkeit nach dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich seines Kollisionsrechts eingewandt werden kann (vgl. BeckOK-ZPO/Gaier, 55. Edition, Stand: 01.12.2024, Art. 25 Brüssel-Ia-VO, Rn. 22 ff.).
Ob es zu einer tatsächlichen Willenseinigung gekommen ist richtet sich demgegenüber nach Unionsrecht (so auch Musielak/Voit/Stadler/Krüger, 21. Aufl. 2024, EuGVVO Art. 25 Rn. 4). Denn der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 18.11.2020 – C-519/19, NZV 2021, 36 Rn. 38; ebenso BGH „Wikingerhof“ aaO Rn 28). Deshalb ist das Vorliegen eines Vertragsschlusses durch übereinstimmende Willenserklärungen ausschließlich nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO zu beurteilen (Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Int. Rechtsverkehr, 67. EL Juni 2024, Art. 25 VO (EG) 1215/2012, Rn. 85). Von der Feststellung, dass bestimmte übereinstimmende Erklärungen der Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung darstellen, lässt sich die Frage nach dem Erklärungsinhalt und damit die nach der Auslegung der Erklärungen nicht trennen (anders BGH, „Wikingerhof“ aaO Rn. 20), so dass auch insoweit nach autonomem Unionsrecht nach dem tatsächlichen Inhalt der Erklärungen zu fragen ist (ähnlich Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer aaO Rn. 86 f.; aA (lex causae) BeckOK ZPO/Gaier, 55. Ed. 1.12.2024, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 69.1; Schlosser/Hess/Schlosser, EuZPR, 5. Aufl. 2021, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 37 sowie (Recht des prorogierten Gerichts) Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Auflage, Art. 25 EuGVVO, Rn. 138; Dörner, EuGVVO, 7. Aufl. 2017, Art. 25 Rn. 20). Es bedarf daher keiner Überlegungen des entgegen der Prorogation angerufenen Gerichts, wie die als zuständig vereinbarten Gerichte die Erklärung nach Maßgabe ihres Rechts in tatsächlicher Hinsicht ausgelegt hätten, insbesondere ob insoweit nationale Beweis- oder Beweislastregeln eingreifen.
Die neue Kollisionsregelung stimmt mit der neuen Bestimmung des Art. 25 V Brüssel-Ia-VO überein, wonach (auch) eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrages ist, als von den übrigen Vertragsbestimmungen – also auch der dortigen Rechtswahl – unabhängige Vereinbarung zu behandeln ist (vgl. Staudinger/Magnus, Neubearb. 2021, IntVertrVerfR, Rn. 493). Berücksichtigt man, dass die das in Deutschland heute (auch gegenüber Drittstaaten) geltende Internationale Privatrecht enthaltende (europäische) Rom-I-VO nach ihrem Art. 1 II lit. e auf Gerichtsstandsvereinbarungen keine Anwendung findet und der europäische Verordnungsgeber die Kollisionsnorm in die verfahrensrechtliche Brüssel-Ia-VO aufgenommen hat, ist es letztlich so, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nach geltendem europäischen und deutschen Recht auch dann Prozessverträge sind, wenn sie in einen materiell-rechtlichen Vertrag aufgenommen wurden. Materielles (Sach-) Recht ist auf sie allenfalls analog anzuwenden. Dies entspricht der Sichtweise des Reichsgerichts, nach der die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts als eine Prozesshandlung angesehen worden ist, die nach deutschem Prozessrecht beurteilt wurde (RGZ 159, 254, 255 f.). Diese Sichtweise hatte der Bundesgerichtshof für das frühere Recht aufgegeben (Urteil vom 29.02.1968 – VII ZR 102/65, juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 17.05.1972 – VIII ZR 76/71, juris, Rn. 9 ff.); durch die Neuregelung in der Brüssel-Ia-VO i.V.m. der Rom-I-VO ist ihr Ansatz im Ergebnis – wohl entgegen BGH „Wikingerhof“ aaO – wieder aktuell. Zwar unterwirft Art. 25 Brüssel-Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen hinsichtlich ihrer „materiellen“ Wirksamkeit dem Recht des prorogierten Gerichts einschließlich etwaiger Gerichtsstandsvereinbarungen erfassender Bestimmungen seines Kollisionsrechts, damit grenzt es dessen Unwirksamkeitsgründe aber nur von den Formerfordernisses des Art. 25 I Brüssel-Ia-VO als formale Wirksamkeitsanforderungen ab; die Norm ordnet Gerichtsstandsvereinbarungen nicht als materiell-rechtliche Vereinbarungen ein.
(2) Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union führt zu keiner Änderung des auf Zustandekommen, ursprüngliche Wirksamkeit und Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung anzuwendenden Rechts.
Dies folgt schon daraus, dass es insoweit, wie ausgeführt, auf die Rechtslage bei Abschluss der Vereinbarung ankommt.
Aber auch dann, wenn man letzterem nicht folgen wollte, wäre nichts anderes anzunehmen.
Wegen der Regelung in ihrem Art. 1 II lit. e ist die Rom-I-VO auf Gerichtsstandsvereinbarungen nicht anzuwenden. Da das deutsche EGBGB für vertragliche Schuldverhältnisse oder Gerichtsstandsvereinbarungen keine Regelungen (mehr) enthält, fehlt es insoweit an einem auf fremdes Recht verweisenden Anwendungsbefehl im Rahmen des in Deutschland geltenden Kollisionsrechts. In der Literatur wird versucht, die Lücke durch eine analoge Anwendung der Rom-I-VO zu füllen (BeckOGK/Paulus, Art. 1 Rom-I-VO, Stand: 01.12.2024, Rn. 102), was mit deren Art. 1 II lit. e kollidiert. Für Schiedsvereinbarungen hat der Bundesgerichtshof die analoge Anwendung der Rom-I-VO wegen der fehlenden Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke inzwischen zu Recht abgelehnt (Urteil vom 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rn. 49 ff.; anders noch BGH, Urteil vom 08.05.2014 – III ZR 371/12, juris, Rn. 23).
Sachgerecht erscheint, die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag außerhalb der direkten Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel-Ia-VO zunächst am maßgeblichen nationalen Prozessrecht, d.h. in Deutschland den §§ 38, 40 ZPO zu prüfen und ergänzend dazu eine Analogie zu Art. 25 Brüssel-Ia-VO zu bilden, sie also jenseits der feststellbaren Anforderungen des nationalen Prozessrechts so zu behandeln, wie Art. 25 Brüssel-Ia-VO unterfallende Klauseln.
(3) Bei Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung nach autonomem Unionsrecht lässt sich nicht positiv feststellen, dass die streitgegenständlichen kartellrechtlichen Ansprüche einbezogen sein sollen.
Insoweit ist zu beachten, dass die Formerfordernisse gewährleisten sollen, dass die Zuständigkeitsklausel Gegenstand einer Willenseinigung war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; d.h. dass die Einigung tatsächlich feststeht (EuGH, Urteil v. 09.11.2000 – C-387/98, EuZW 2001, 122, Rn. 13 zu Art. 17 EuGVÜ aF). Verbleiben daher nach dem Wortlaut der Klausel und den sonstigen für die Auslegung relevanten tatsächlichen Umständen Zweifel daran, dass die Einbeziehung der Ansprüche dem Regelungsplan der Parteien entspricht, ist die Klausel auf sie nicht anzuwenden. So verhält es sich hier.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist schon früh anerkannt worden, dass zwar im Grundsatz zwischen Vereinbarungen über das anwendbare Recht einerseits und über die zuständigen Gerichte andererseits logisch zu unterscheiden ist, andererseits aber der Wille der Parteien im Zweifel dahin geht, dass das Recht des Landes angewendet werden solle, dessen Gerichte als ausschließlich zuständig vereinbart werden (BGH, Urteil vom 30.01.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061, 1062). Dabei handelt es sich nicht um einen Rechtssatz, sondern um die zutreffende, vom erkennenden Senat allgemein geteilte Erkenntnis tatsächlicher Gegebenheiten.
Wegen dieses Willens kann die Vereinbarung des ausländischen Gerichts dann als bestimmte Ansprüche nicht umfassend anzusehen sein, wenn die Parteien die Anwendung des in der Vereinbarung bestimmten Rechts für diese Ansprüche nicht wirksam vereinbaren konnten; die Frage der Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung und die Frage der wirksamen Vereinbarung fremden Rechts sind insoweit im Zusammenhang zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.1961 aaO, dort unter dem Gesichtspunkt einer Unwirksamkeit).
Ein entsprechender Regelungsplan deutet sich auch im Membership Deed an. Dessen Regelungen gehen dahin, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Staates vereinbart wird, dessen materielles Recht maßgeblich sein soll. Dies spricht gegen die Erstreckung der Klausel auf Ansprüche aus dem deutschen Kartellrecht, weil dieses nach Art. 6 III, IV Rom-II-VO, § 185 II GWB keiner Rechtswahl zugänglich ist und sich die Beklagten deshalb nach deutschem Recht verantworten müssen, soweit es um Auswirkungen in Deutschland geht. Hinsichtlich der anderen Mitgliedsstaaten der EU gilt entsprechendes, so dass ein Gleichlauf zwischen dem anwendbaren Kartellrecht und dem Heimatrecht des prorogierten Gerichts nicht zu erreichen ist.
Hinzu kommt, dass die kartellrechtliche Haftung nicht im Sinne des Art. 22.2 „aus der Vereinbarung“ folgt, in Betracht kommt allein eine Haftung „in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung“. Dabei knüpft allerdings die kartellrechtliche Haftung an das tatsächliche Verhalten und nicht daran an, ob dieses – nach englischem Recht wirksamen oder unwirksamen – Parteivereinbarungen entspricht.
Danach erfordert der sich im Deed andeutende Regelungsplan die Einbeziehung der streitgegenständlichen Ansprüche nicht. Sie wird auch nicht durch den denkbaren weiteren, von den Beklagten im Senatstermin herangezogenen Zweck, widersprüchliche Entscheidungen über kartellrechtliche Fragen zu vermeiden, getragen. Für das deutsche Recht sind einheitliche Entscheidungen durch den hiesigen Instanzenzug gewährleistet. Soweit die Beklagten kartellrechtlichen Ansprüchen auch aus dem Kartellrecht anderer Staaten ausgesetzt sein sollten, ist wegen der unterschiedlichen Regelungsregime ein einheitliches Ergebnis ohnehin nicht gewährleistet. Auf die Vermeidung mehrerer Prozesse vor unterschiedlichen Gerichten zielt die Klausel nicht in erkennbarer Weise ab, denn sie prorogiert pauschal die „Gerichte in England“ und nicht ein bestimmtes Gericht.
cc) Unabhängig davon ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich beider Beklagten aber auch deshalb zu bestätigen, weil der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem im Verhältnis zum Vereinigten Königreich erfolgten Außerkrafttreten der Brüssel-Ia-VO ein kartellrechtliches Derogationsverbot entgegensteht (i.E. ebenso Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 25.02.2025, 20 U 2/24 Kart, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.04.2025, VI-U (Kart) 2/24, Anlage K31, bislang unveröffentlicht). Dieses folgt schon aus nationalem deutschen Recht, so dass dahinstehen kann, ob ein Derogationsverbot auch unionsrechtlich geboten ist.
Das Derogationsverbot ergibt sich aus der Gesamtschau der §§ 40 II Nr. 2 ZPO, 95, 185 II GWB, Art. 6 III, IV Rom-II-VO und dem Zweck des Kartellverbots nach § 1 GWB sowie der Missbrauchsverbote nach den §§ 19, 20, 21 GWB, aus denen nach deutschem Recht eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die vorliegende Klage folgt, die nur durch Sonderregelungen – wie der Brüssel-Ia-VO zugunsten der Gerichte anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – durchbrochen wird.
(1) Hinsichtlich der wirksamen Erstreckung einer an sich wirksam zu Stande gekommenen, derogierenden Gerichtsstandsvereinbarung auf die im konkreten Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche sind zwei Fälle zu unterscheiden. Zum einen kann ein beschränktes Derogationsverbot bestehen, bei dem eine derogierende Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche im Grundsatz zulässig, gleichwohl aber die Derogation durch die Bestimmung der ausschließlichen Zuständigkeit gerade der gewählten Gerichte unzulässig ist. Zum anderen kann eine Derogation für bestimmte Ansprüche grundsätzlich ausgeschlossen sein. Dies gilt in den Fällen des § 40 II ZPO, aber auch dann, wenn die kollisionsrechtliche deutsche oder europäische Norm die Anwendung durch deutsche oder europäische Gerichte verlangt. Das ist bei den streitgegenständlichen Ansprüchen wegen Verstößen gegen Verbote nach §§ 1, 19, 20, 21 GWB der Fall, weshalb dahinstehen kann, wie englische Gerichte den Fall handhaben würden.
(2) Wie bereits oben ausgeführt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon früh anerkannt worden, dass zwar im Grundsatz zwischen Vereinbarungen über das anwendbare Recht einerseits und über die zuständigen Gerichte andererseits logisch zu unterscheiden ist, andererseits aber beide Fragen im Zusammenhang zu sehen sind. Dabei soll allein der Umstand, dass die vereinbarte ausländische Rechtsordnung Regelungen nicht enthält, die im deutschen Recht zwingend sind, nicht gegen die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sprechen (BGH, Urteil vom 30.01.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061, 1062). Der Bundesgerichtshof hat außerdem angenommen, dass es einer Partei, die auf den Streitgegenstand verzichten kann, nicht verwehrt sein könne, auf den Rechtsschutz vor deutschen Gerichten zu verzichten; sie könne auch auf den Rechtsschutz insgesamt verzichten. Gleichzeitig hat er aber betont, es könne auch in diesen Fällen aus „einem anderen Grund“ eine zwingende deutsche internationale Zuständigkeit gegeben sein (BGH, Urteil vom 13.12.1967 aaO Rn. 11 f.). Er hat außerdem anerkannt, dass die Unzulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung (nach nationalem deutschem Recht) auch aus Vorschriften folgen könne, die sich nicht mit der örtlichen Zuständigkeit befassen (BGH, Urteil vom 13.12.1967 – VIII ZR 203/65, juris, Rn. 5).
(3) Aus der ein beschränktes Derogationsverbot annehmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt jedoch, dass er solchen Normen des deutschen materiellen (Kollisions-) Rechts den Vorrang gegenüber der Privatautonomie der Parteien gewährt, die dazu dienen, deutsches Recht auch gegen entgegenstehendes ausländisches Recht durchzusetzen. Diesen Vorrang nimmt der Bundesgerichtshof ungeachtet des Umstands an, dass die Parteien sich über den Gegenstand des Rechtsstreits und weitere Fragen nach deutschem Recht vergleichen könnten oder der Kläger auf den von der Gerichtsstandsvereinbarung betroffenen Anspruch verzichten könnte. Es geht ihm um die Verteidigung von Normen, die dazu dienen, deutsches Recht auch gegen entgegenstehendes ausländisches Recht durchzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1984 – II ZR 10/83, juris, Rn. 21).
Nachdem der Bundesgerichtshof zunächst im Urteil vom 30.01.1961 aaO ein Derogationsverbot für den Handelsvertreterausgleichsanspruch des § 89b HGB verneint hat, weil es sich (nur) um eine zwingende Norm des deutschen Rechts handele, hat er dies später anders beurteilt. Er hat ein (beschränktes) Derogationsverbot für Ansprüche aus § 89b HGB angenommen, weil die Verneinung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte im US-Bundesstaat Virginia, dessen Recht keinen zwingenden Anspruch auf einen Handelsvertreterausgleich kenne und dessen Gerichte europäisches und deutsches Recht nicht zur Anwendung brächten, den international zwingenden Anwendungsbereich der Art. 17, 18 der Richtlinie 86/653/EWG absichere (BGH, Urteil vom 05.09.2012 – VII ZR 25/12, juris, Rn. 4). Danach steht die Verzichtbarkeit des Anspruchs und seiner Klagbarkeit einem Derogationsverbot nicht entgegen; vielmehr ist die international zwingende Anwendbarkeit des nationalen Rechts ein „anderer Grund“ im Sinne der o.g. Entscheidung vom 13.12.1967 zur Annahme eines Derogationsverbots.
Der Bundesgerichtshof hat ein beschränktes Derogationsverbot auch insofern angenommen, als ausländische Gerichte den Termineinwand bei Börsentermingeschäften nicht beachten, der nach deutschem Recht auch bei ausländischem Recht unterliegenden Geschäften anzuwenden sei (BGH, Urteil vom 12.03.1984 – II ZR 10/83, juris, Rn. 21).
(4) Der vom Gesetz gewollte Anwendungsvorrang des deutschen Kartellrechts vor dem Recht anderer Staaten betrifft nicht nur die grundsätzliche Anwendung des deutschen und europäischen Kartellrechts, verbunden mit einer erst bei groben, gar unerträglichen Ergebnisfehlern überschrittenen, weitgehenden Fehlertoleranz bei der Entscheidung des konkreten Einzelfalls. Vielmehr muss die Richtigkeit der Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch den bis zum Bundesgerichtshof sowie zum Europäischen Gerichtshof gehenden Instanzenzug gewährleistet sein. Dies erfordert ein generelles Derogationsverbot für unmittelbar aus einem Verstoß gegen die §§ 1, 19, 20, 21 GWB folgende Schadensersatzansprüche. Dieses Verbot wird durch Art. 25 Brüssel-Ia-VO nur hinsichtlich der Gerichte anderer Mitgliedsstaaten, die mit Deutschland einen einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 3 II EUV) mit grundsätzlich gleichwerter Gewährleistung des Rechtsschutzes bilden, sowie im Rahmen einzelner anderer Ausnahmebestimmungen durchbrochen. Eine „Ersatzzuständigkeit“ deutscher Gerichte (für eine solche Geimer, Internat. Zivilprozess R, 9. Auflage 2024, 11. Derogationsverbote Rn. 1770), die erst nach Durchführung des ausländischen Verfahrens möglich wäre, würde die Verteidigung des deutschen und europäischen „ordre public“ verzögern und daher während des fremden Verfahrens ihm widersprechende Verhältnisse ermöglichen, die das deutsche und europäische Kartellrecht gerade verhindern soll.
Für die hier fraglichen Ansprüche wegen Verstoßes gegen die §§ 1, 19, 20, 21 GWB ist zu beachten, dass es sich bei den kartellrechtlichen Regelungen nicht nur um zwingende privatrechtliche Normen handelt, sondern dass die privatrechtlichen Ansprüche öffentlich-rechtliche Wettbewerbsregeln abzusichern helfen, die auch von deutschen Behörden, insbesondere dem Bundeskartellamt, verteidigt werden.
Die Verbote nach §§ 1, 19, 20, 21 GWB gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, zu den elementaren Grundlagen der Rechtsordnung und den grundlegenden Normen des Kartellrechts. Deshalb widerspricht die Anerkennung oder Vollstreckung von Schiedssprüchen der öffentlichen Ordnung („ordre public“) bereits dann, wenn der Schiedsspruch auf einer fehlerhaften Anwendung dieser Regelungen beruht und nicht erst dann, wenn die Entscheidung in ihrem Ergebnis grob falsch ist, weil sie die maßgeblichen Normen unbeachtet lässt oder falsch anwendet. Schiedssprüche unterliegen insoweit einer uneingeschränkten Kontrolle durch das ordentliche Gericht im Hinblick auf die Anwendung dieser Normen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – KZB 75/21 „Kartellrecht im Schiedsverfahren“, juris, Rn. 14 f.).
Diese Erwägungen sind auf die zu bejahende Frage nach einem generellen Derogationsverbot zu übertragen. Die besondere Stellung der maßgeblichen kartellrechtlichen Normen, nach der ein Verstoß gegen den „ordre-public“ nicht erst bei groben und unerträglichen Abweichungen im Ergebnis der Rechtsanwendung, sondern bei jedem für das Ergebnis kausalen Anwendungsfehler anzunehmen ist, kann anders nicht gewahrt werden. So wie es keine Rechtsordnung hinnehmen kann, dass Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen durch ihre eigenen Gerichte bestätigt werden, unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig oder offensichtlich sind oder nicht (BGH aaO), kann es auch keine Rechtsordnung hinnehmen, dass den staatlichen Einrichtungen, die die Einhaltung dieser Bestimmungen gewährleisten sollen, durch die Akteure – und damit unter Mitwirkung der potentiellen Deliktstäter – die Zuständigkeit entzogen und stattdessen den Einrichtungen fremder Staaten übertragen wird.
Der Senat teilt auch die weiteren Erwägungen des Bundesgerichtshofs, mit denen er die volle Überprüfung der Schiedssprüche begründet hat; auch diese sind auf die Derogation deutscher Gerichte zugunsten der Gerichte von nicht der Europäischen Union angehörenden Staaten zu übertragen. Nur durch das Derogationsverbot werden die umfassenden Beteiligungsrechte des Bundeskartellamts gewahrt, die in den vor den staatlichen Gerichten geführten Kartellzivilverfahren bestehen, und nur so wird sichergestellt, dass entscheidungserhebliche ungeklärte Rechtsfragen, die in unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 101, 102 AEUV wurzeln, im Zuge der Entscheidung der Klärung durch den Europäischen Gerichtshof zugeführt werden können (vgl. BGH aaO Rn. 16).
So hat auch der Europäische Gerichtshof seine vom erkennenden Senat geteilte Auffassung, dass Gerichtsstandsvereinbarungen zu Gunsten mitgliedstaatlicher Gerichte nicht gegen Art. 101 AEUV verstoßen und den „effet utile“ des Unionsrechts nicht beeinträchtigen, mit den unionsrechtlichen Regeln zu Gerichtsstandsvereinbarungen und insbesondere mit dem durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV verbürgten gleichwertigen Rechtsschutzsystem in der Union begründet (EuGH, Urteil vom 21.05.2015 – C-352/13 „CDC Hydrogen Peroxide“, juris, Rn. 63). Ob insoweit auch ein unionsrechtliches Derogationsverbot hinsichtlich nichtmitgliedsstaatlicher Gerichte anzunehmen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Dass danach eine Derogation der internationalen Zuständigkeit für kartellrechtliche Streitigkeiten nicht grundsätzlich möglich sein soll, korrespondiert im Übrigen damit, dass das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (ABl. EU 2009 L 133 S. 3) nach seinem Art. 2 II lit. h „kartellrechtliche (wettbewerbsrechtliche) Angelegenheiten“ nicht erfasst.
Daraus, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 23 des Luganer „Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (EuGVÜ 2007) wohl auch hinsichtlich kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche zulässig sind, folgt nichts anderes. Dieses rechtlich selbständige Übereinkommen, das zwischen der Europäischen Union sowie der Schweiz, Norwegen und Island geschlossen worden ist, betrifft nur Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten der Gerichte der durch das Abkommen gebundenen Staaten, zu denen das Vereinigte Königreich nicht gehört. Es handelt sich um eine Sonderregelung, aus der keine Öffnung der deutschen und europäischen Rechtsordnung gegenüber Drittstaaten folgt. Mit dem Übereinkommen geht eine besondere Bindung an die Rechtsprechung der Gerichte der gebundenen Staaten und des Europäischen Gerichtshofs einher (vgl. insb. Art. 1 des Protokolls Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den selbständigen Ausschuss, ABl. EU 2007 L 339/27).
(5) Ob das Derogationsverbot auch dann eingreift, wenn nicht Schadensersatzansprüche wegen Verstößen gegen das Kartellverbot und kartellrechtliche Missbrauchsverbote Klagegegenstand sind, sondern einem anderweitig – z.B. vertraglich – begründeten Anspruch nur beklagtenseits entgegengehalten wird, es liege ein Verstoß gegen die §§ 1, 19, 20, 21 GWB vor, bedarf keiner Entscheidung. Im letztgenannten Fall könnte es zur Durchsetzung des deutschen Kartellrechts genügen, den unter Verstoß gegen deutsches Kartellrecht ergangenen ausländischen Urteilen die Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland zu versagen.
Es bedarf auch keiner Entscheidung, inwieweit die hiesigen Erwägungen auf Schiedsklauseln zu übertragen sind, die auf Verstöße gegen die §§ 1, 19, 20, 21 GWB gestützte Ansprüche erfassen und diese Schiedsgerichten zuweisen, die nicht der Kontrolle mitgliedsstaatlicher Gerichte der Europäischen Union unterliegen.
3. Das Verfahren ist ohne Ausspruch des Senats zu einer Zurückverweisung vor dem Landgericht fortzusetzen. Der Rechtsstreit ist dem Senat durch das Zwischenurteil nur im Umfang der Zwischenentscheidung angefallen und im Übrigen in der ersten Instanz anhängig geblieben (Musielak/Voit/Ball, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 538 Rn. 21; BeckOK ZPO/Wulf, 55. Ed. 1.12.2024, § 538 Rn. 19; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 538 Rn. 24, 32)
Dabei kommt es (entgegen MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 538 Rn. 57) nicht darauf an, ob das Gericht I. Instanz (wie vorliegend geschehen) die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet hat. Maßgeblich ist der Umfang der angefochtenen Entscheidung, nicht der Verhandlung, weshalb der Senat auch nicht ohne weiteres andere, vom Landgericht noch nicht beschiedene Zulässigkeitsfragen bescheiden muss (vgl. Stein/Jonas/Althammer aaO Rn. 32). Anlass, den Rechtsstreit insoweit teilweise an sich zu ziehen, hat der Senat nicht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
Die Revision ist gemäß § 543 II Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Fragen des rechtlichen Schicksals vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU abgeschlossener Gerichtsstandsvereinbarungen, des auf die Auslegung von unter Art. 25 I Brüssel-Ia-VO fallenden Vereinbarungen anzuwendenden Rechts, aber auch die Frage des kartellrechtlichen Derogationsverbots haben grundsätzliche Bedeutung. Letztere auch deshalb, weil ohne eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in weiteren Verfahren mit entsprechenden Zuständigkeitsrügen und unterschiedlichen Beurteilungen durch die Eingangsinstanzen zu rechnen ist, durch die die effektive Durchsetzung des Kartellrechts zumindest vorübergehend verhindert wird. Hinsichtlich des für die Auslegung von unter Art. 25 I Brüssel-Ia-VO fallenden Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwendenden Rechts weicht der Senat außerdem von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, so dass insoweit auch die Voraussetzungen des § 543 II Nr. 2 Alt. 2 ZPO vorliegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre Erstreckung auf die angefochtene Entscheidung ist entbehrlich, weil das Zwischenurteil des Landgerichts keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.
Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen – nicht nachgelassenen – Schriftsätze hat der Senat zur Kenntnis genommen. Sie rechtfertigen keine andere Entscheidung und erfordern keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17
Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO, Art. 25 Brüssel-Ia-VO; § 19 GWB, Art. 102 AEUV
Der BGH hat entschieden, dass eine in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Plattformbetreibers enthaltene Gerichtsstandsklausel, nach der für aus dem Vertrag entstehende Streitigkeiten das Gericht seines Geschäftssitzes zuständig ist, Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nur dann erfasst, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vertragsparteien die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung auch auf solche vom Vertrag unabhängigen Ansprüche erstrecken wollten. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
…
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10.02.2021 durch … für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Kartellsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 12.10.2017 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt in Schleswig-Holstein ein Hotel. Die Beklagte, die ihren Sitz in den Niederlanden hat, betreibt die Hotelbuchungsplattform booking.com. Die Klägerin vermarktet ihr Hotel (auch) über diese Plattform. Sie sieht in bestimmten Verhaltensweisen der Beklagten bei der Vermittlung von Hotelbuchungen eine unbillige Behinderung durch ein marktbeherrschendes Un-ternehmen und nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch.
Die Parteien schlossen 2009 einen Vertrag, der auf einem von der Beklag-ten vorgelegten Vertragsformular beruht, in dem auf eine bestimmte Version der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten verwiesen wird, die auf der Plattform online verfügbar seien. Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB 2008) sehen u.a. vor, dass ausschließlich niederländisches Recht gelte und Gerichtsstand für alle aus dem Vertrag entstehenden Streitigkei-ten mit Ausnahme von Zahlungs- und Rechnungsstreitigkeiten, für die als Ge-richtsstand auch der Sitz des Hotels in Frage komme, Amsterdam sei. Die Be-klagte änderte ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Folge mehrfach. Die Klägerin widersprach der Einbeziehung einer Version der Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen, die die Beklagte ihren Vertragspartnern per E-Mail vom 25. Juni 2015 bekannt machte (im Folgenden: AGB 2015 neu). Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen 2015, die die Beklagte vor der Änderungsmitteilung ver-wendete (AGB 2015 alt), sehen ebenso wie die AGB 2015 neu vor, dass – sofern nichts anderes in dem Vertrag festgelegt ist – die aus oder in Verbindung mit dem Vertrag entstehenden Streitigkeiten ausschließlich vor die zuständigen Gerichte in den Niederlanden gebracht und dort verhandelt werden.
Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender örtlicher und internationa-ler Zuständigkeit abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.
Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 11. Dezember 2018 (BGH, WuW 2019, 143) hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 24. November 2020 (C-59/19, WuW 2021, 31 – Wikingerhof) ent-schieden, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) 1215/2012 (nachfolgend: Brüssel-Ia-VO) dahin auszulegen ist, dass er für eine Klage gilt, die auf die Un-terlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine markt-beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Für die Klage sei die örtliche und internationale Zuständigkeit des angeru-fenen Gerichts nicht gegeben. Weder sei der Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO) noch der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO) gegeben. Auf die Frage, ob eine wirksame Gerichts-standsvereinbarung getroffen worden sei, komme es daher nicht an.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur sachlichen Prüfung des Klagebegehrens. Seine An-nahme, das angerufene Landgericht sei örtlich und international unzuständig, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Gerichtsstand der uner-laubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO verneint. Für die Prüfung des Klagebegehrens ist ein im Bezirk des angerufenen Landgerichts belegener Ge-richtsstand am Sitz der Klägerin als demjenigen Ort eröffnet, an dem sich der mit der Klage geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gegenüber der Klägerin ausgewirkt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015 – C-352/13, WuW 2015, 785 Rn. 53 – CDC Hydrogene Peroxide).
a) Mit der Klage begehrt die Klägerin die Unterlassung des Miss-brauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte als Betreiberin der Hotelbuchungsplattform booking.com bei der Vermittlung von Beherber-gungsverträgen an Hotelgäste und sonstige Kunden, die auf der Plattform nach Angeboten suchen. Als missbräuchlich beanstandet sie die Bewerbung von rabattierten Preisen ohne ihre Mitwirkung, eine Beschränkung der Kontaktmög-lichkeiten zwischen den Vertragspartnern des über die Plattform abgeschlosse-nen Beherbergungsvertrags sowie eine von der Höhe der an die Beklagte ge-zahlten Provision abhängige Platzierung des Hotels in der Reihenfolge der auf der Plattform angezeigten Angebote.
b) Damit macht sie auf eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO gestützte Ansprüche geltend.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt das Be-stehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien die Qualifikation des Kla-gebegehrens als deliktischer Anspruch nicht aus. Entscheidend für die Abgren-zung des besonderen Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO von dem besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO ist vielmehr, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Ver-tragsverhältnis zwischen den Parteien besteht (EuGH, WuW 2021, 31 Rn. 33 – Wikingerhof). Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswid-rigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, son-dern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (EuGH, WuW 2021, 31 Rn. 32 – Wikingerhof).
bb) So verhält es sich im Streitfall. Die Kartellrechtswidrigkeit der bean-standeten Handlungen hängt allein davon ab, ob der Beklagten nach § 18 GWB eine marktbeherrschende Stellung zukommt und sie diese missbräuchlich aus-genutzt hat (§ 19 GWB, Art. 102 AEUV). Auf den Inhalt des Vertrages kommt es hierfür nicht an. Es ist deshalb im Sinne der Abgrenzungsformel des Unionsge-richtshofs zur Beurteilung der Begründetheit der Klage auch nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien auszulegen. Eine solche Auslegung ist allenfalls erforderlich, um das Vorliegen der beanstandeten Handlungsweisen festzu-stellen (EuGH, WuW 2021, 31 Rn. 35 – Wikingerhof; Schlussanträge des Gene-ralanwalts Saugmansgaard Øe – C-59/19, juris Rn. 103). So kann etwa eine (Erst-)Begehungsgefahr nach § 33 Abs. 2 GWB für die mit der Klage als kartell-rechtswidrig beanstandeten Verhaltensweisen daraus abgeleitet werden, dass die Beklagte sich vertraglich ausbedungen hat, in der angegriffenen Weise han-deln zu dürfen.
cc) Allerdings erfordert die nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB stets gebotene Interessenabwägung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2016 – KZR 6/15, BGHZ 210, 292 Rn. 48 – Pechstein/International Skating Union) bei einer Vertragsbeziehung der Parteien auch eine Betrachtung der ver-tragstypischen Rechte und Pflichten und der zwischen den Parteien getroffenen Regelungen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 2/15, WuW 2017, 286 Rn. 31 – Kabelkanalanlagen). Für die Qualifikation des Klageanspruchs als delik-tischen Anspruch ist dies jedoch ohne Belang, zumal dabei Interessen nicht be-rücksichtigt werden dürfen, deren Durchsetzung insbesondere nach den kartell-rechtlichen Wertungen rechtlich missbilligt werden (BGH, WuW 2017, 286 Rn. 30 – Kabelkanalanlagen).
dd) Fehl geht auch die Erwägung des Berufungsgerichts, die Klägerin verlange nicht nur Unterlassung, sondern erstrebe letztlich eine Abänderung des Vertrages. Die Klägerin macht – sachlich richtig – einen Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB geltend. Dass die Beklagte einem entsprechenden ge-richtlichen Verbot – außer durch eine Einstellung ihrer Vermittlungstätigkeit – gegebenenfalls nur durch eine andere Vertragsgestaltung nachkommen könnte, ändert nichts daran, dass weder die Grundlage der Klage noch das Klagebegeh-ren selbst vertraglicher Natur sind.
2. Die nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO begründete internationale Zu-ständigkeit deutscher Gerichte ist nicht aufgrund einer zwischen den Parteien geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen.
a) Eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung begründet allerdings nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) 1215/2012 eine ausschließliche Zuständigkeit, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015 – C-322/14, NJW 2015, 2171 Rn. 24 – Majdoub/CarsOn- TheWeb.Deutschland GmbH).
b) Das Berufungsgericht hat – von seinem Standpunkt folgerichtig – nicht geprüft, ob der niederländische Gerichtsstand, welcher in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten vorgesehen war, auf die das von der Klä-gerin unterzeichnete Vertragsformular Bezug nimmt (AGB 2008), zwischen den Parteien wirksam vereinbart worden ist. Dies kann auch weiterhin dahinstehen.
aa) Die Anwendung der Gerichtsstandsklausel auf die nach § 33 Abs. 1 GWB geltend gemachten Ansprüche ist allerdings nicht schon gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Brüssel-Ia-VO ausgeschlossen. Danach kann eine Verein-barung über die internationale Zuständigkeit nur eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis ent-springende Rechtsstreitigkeit betreffen, was ihre Geltung auf Rechtsstreitigkeiten einschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich des-sen die Vereinbarung geschlossen wurde. Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimm-ten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Mai 2015 – C-352/13, WuW 2015, 785 Rn. 68 – CDC Hydrogen Peroxide, und vom 24. Oktober 2018 – C-595/17, WuW 2018, 630 Rn. 22 – Apple Inc.). Dies ist dann der Fall, wenn das vorgetragene wettbewerbswidrige Verhalten nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, in dessen Rahmen die Gerichtsstandsklausel ver-einbart wurde (vgl. EuGH, WuW 2018, 630 Rn. 27 – Apple Inc.). Da sich der hier geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in den ver-traglichen Beziehungen und in den Vertragsbedingungen manifestieren kann, ist eine Erstreckung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf darauf gestützte Klagen auch dann nicht überraschend, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht bezieht (vgl. EuGH, WuW 2018, 630 Rn. 29 ff. – Apple Inc).
bb) Die Klausel erfasst die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche jedoch nicht.
(1) Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung ist durch Auslegung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rn. 25). Die Auslegung einer Vereinbarung über die internatio-nale Zuständigkeit ist Sache des nationalen Gerichts (vgl. EuGH, WuW 2015, 785 Rn. 67 – CDC Hydrogen Peroxide; WuW 2018, 630 Rn. 21 – Apple Inc.; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rn. 25). Sie richtet sich, wenn sie – wie hier – Teil einer umfassenderen Vereinbarung ist, regelmäßig nach dem für den Vertrag geltenden Recht, soweit Art. 25 Brüssel-Ia-VO keine Maßstäbe und Vorgaben enthält (BGH, NJW 2019, 1300 Rn. 25).
(2) Mithin unterliegt die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung im Falle der wirksamen Einbeziehung der in den Allgemeinen Geschäftsbedingun-gen enthalten Rechtswahlklausel niederländischem Recht. Da das Berufungsge-richt – von seinem Standpunkt folgerichtig – das ausländische Recht nicht ermit-telt und gewürdigt hat, kann der Senat dieses selbst ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 Rn. 21). Nach der grundlegenden Ent-scheidung „Haviltex“ des Hoge Raad der Nederlanden ist bei der Auslegung nicht nur auf den Wortlaut der Vertragsbestimmung abzustellen. Vielmehr sind auch die Bedeutung und die Erwartung in Betracht zu ziehen, die die Parteien unter den gegebenen Umständen vernünftigerweise der Vertragsbestimmung beimes-sen (Urteil vom 13. März 1981, ECLI:NL:1981:AB4158). Erforderlich ist eine interessengerechte Auslegung (vgl. Hoge Raad, Urteil vom 19. Oktober 2007 – C06/123HR, ECLI:NL:PHR:2007:BA7024, Rn. 3.4). Diese Grundsätze gelten auch für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (Hoge Raad, Urteil vom 19. Oktober 2007 – C06/123HR, ECLI:NL:PHR:2007:BA7024, Rn. 3.4).
Damit unterscheidet sich das niederländische Recht im Wesentlich nicht von den im deutschen Recht maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen. Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typi-schen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 17. Februar 2016 – XII ZR 183/13, NZM 2016, 315 Rn. 10 mwN). Weil sich die anzuwendenden Auslegungsgrundsätze im niederländi-schen und deutschen Recht nicht wesentlich unterscheiden, kann dahinstehen, ob die Rechtswahlklausel wirksam in den Vertrag einbezogen wurde.
(3) Die Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, da keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind (vgl. BGH, NJW 2019, 1300 Rn. 27).
(a) Die Gerichtsstandsklausel der AGB 2008 betrifft alle aus dem Ver-trag entstehenden Streitigkeiten mit Ausnahme von Zahlungs- und Rechnungs-streitigkeiten. Dieser Wortlaut bietet keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass mit ihr deliktische Ansprüche eines Vertragspartners der Beklagten wegen eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfasst werden sollten. Eine aus dem Vertrag entstehende Streitigkeit setzt voraus, dass der Streit der Par-teien die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten be-trifft. Gegenstand des Streits der Parteien sind, wie ausgeführt, behauptete vom Vertrag unabhängige kartellrechtliche Ansprüche der Klägerin auf Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Dass sich dieser in ver-traglichen Bestimmungen manifestieren kann, ändert nichts daran, dass der Streit nicht Rechte und Pflichten aus dem Vertrag betrifft (vgl. oben Rn. 12).
(b) Auch die Interessenlage der Vertragsparteien, die Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulässt, spricht gegen die Einbeziehung kartellrechtlicher An-sprüche in die Gerichtsstandsklausel. Durch die Klausel wird die Beklagte als Verwenderin begünstigt. Zuwiderhandlungen gegen das kartellrechtliche Miss-brauchsverbot sind dem Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses re-gelmäßig nicht bekannt, noch muss er damit rechnen (vgl. für den Verstoß gegen das Kartellverbot: EuGH, WuW 2015, 785 Rn. 70 – CDC Hydrogen Peroxide). Da ein entsprechender Regelungswille damit nicht unterstellt werden kann (vgl. Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 358) darf jedenfalls nicht ohne – im Streitfall fehlende – deutliche Anhaltspunkte hierfür angenommen werden, mit einer für aus dem Vertrag entstehende Streitigkeiten vereinbarten Gerichtsstandsverein-barung unterwerfe sich der Vertragspartner des Marktbeherrschers dem Ver-tragsgerichtsstand auch für die Prüfung von Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.
Ob solche deutlichen Anhaltspunkte auch deshalb erforderlich sind, weil Bestehen und Reichweite solcher Ansprüche – von bestimmten Fällen der ver-gleichsweisen Beilegung von Streitigkeiten abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – KZR 60/18, WuW 2020, 90 Rn. 40 – Berufungszuständig-keit II) – grundsätzlich der vertraglichen Regelung nicht zugänglich sind, oder ob der Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Interessenbewertung entgegen-steht, dass im Anwendungsbereich der europäischen Gerichtsstands- und Voll-streckungsverordnungen nationale Beschränkungen der prozessualen Parteiau-tonomie vollständig verdrängt werden (Wurmnest in Festschrift Magnus, 2014, S. 567, 570 mwN), kann vor diesem Hintergrund offenbleiben.
c) Ob die in den Geschäftsbedingungen 2015 alt enthaltene Klausel, die die internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte für aus oder in Ver-bindung mit dem Vertrag entstehende Streitigkeiten vorsieht, auch die hier gel-tend gemachten Ansprüche erfasst (dafür Mankowski aaO Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 91; Weller in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 17), kann dahinstehen. Denn es fehlt insoweit an einer Gerichtsstandsver-einbarung nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Brüssel-Ia-VO.
aa) Das Verständnis des Begriffs der Gerichtsstandsvereinbarung rich-tet sich nicht nach dem innerstaatlichen Recht eines beteiligten Staates. Es han-delt sich vielmehr um einen autonomen Begriff des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 18. November 2020 – C-519/19, RIW 2021, 44, Rn. 38 – Ryanair DAC/DelayFix; vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – C-222/15, EuZW 2016, 635 Rn. 29 – Hőszig/Alstom Power Thermal Services). Die Auslegung des Art. 25 Brüssel-Ia-VO unterscheidet sich insoweit nicht von der des Art. 23 Abs. 1 Brüssel-I-VO (Mankowski aaO Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 216 f.; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl., 8. Teil: Gerichts-stands- und Schiedsvereinbarungen Rn. 8.41; Magnus, IPRax 2016, 521, 522; aA Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 21; Weller in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 17). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Kollisionsregel in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Brüssel-Ia-VO und Erwägungsgrund 20 der Verordnung (aA Geimer aaO, Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 21). Diese betrifft die Nichtigkeit der Vereinbarung und nicht die Frage, ob eine Willenseinigung vorliegt (vgl. EuGH, RIW 2021, 44, Rn. 41 und Rn. 50 – Ryanair DAC/DelayFix).
bb) Eine Gerichtsstandsvereinbarung muss nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Brüssel-Ia-VO entweder schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Betätigung („halbe Schriftlichkeit“, BGH, Urteil vom 25. Januar 2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rn. 17) oder in einer Form geschlossen werden, die den zwi-schen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten oder im internationalen Han-del einem Handelsbrauch entspricht. Der Schriftform gleichgestellt ist die elek-tronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung er-möglicht (Art. 25 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO). Damit soll verhindert werden, dass ein-seitig in den Vertrag eingefügte Gerichtsstandsklauseln unbemerkt bleiben (vgl. EuGH, Urteil vom 20. April 2016 – C-366/13, RIW 2016, 357 Rn. 39 – Profit Investment SIM SpA/Ossi; BGH, ZIP 2017, 2324 Rn. 25), und sichergestellt wer-den, dass eine Willenseinigung der Parteien tatsächlich vorliegt (vgl. EuGH, EuZW 2016, 635 Rn. 36 f. – Hőszig/Alstom Power Thermal Services; NJW 2015, 2171 Rn. 30 – Majdoub/CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH). Es bedarf deshalb der Feststellung, dass die die Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Ge-genstand einer klar und deutlich zum Ausdruck kommenden Einigung der Par-teien war (EuGH, Urteil vom 8. März 2018 – C-64/17, ZIP 2018, 1754 Rn. 25 – Saey Home & Garden; RIW 2021, 44, Rn. 38 – Ryanair DAC/DelayFix; vgl. auch Urteil vom 14. Dezember 1976 – Rs 24/76, NJW 1977, 494 – Colzani/Rüwa; EuZW 2016, 635 Rn. 36 f. – Hőszig/Alstom Power Thermal Services).
cc) Da es sich bei der internationalen Zuständigkeit um eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung handelt, kann der Senat das Vorlie-gen einer Gerichtsstandsvereinbarung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ohne Bindung an die Feststellungen des Berufungsgerichts prüfen und würdigen (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 1959 – V ZR 197/58, BGHZ 31, 279, 282 f., und vom 24. September 2009 – IX ZR 149/08, WM 2009, 2134 Rn. 9).
dd) Es kann nicht festgestellt werden und aus dem Parteivortrag erge-ben sich auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die in den AGB 2015 alt enthaltene Gerichtsstandsklausel tatsächlich Gegenstand einer Wil-lenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck ge-kommen ist (vgl. Rn. 29).
Zwar sieht Nummer 17 der AGB 2008 der Beklagten vor, dass diese be-rechtigt sein soll, die Geschäftsbedingungen zu ändern. Änderungen soll die Be-klagte nach der Klausel auf ihren als Extranet bezeichneten Internetseiten be-kannt geben, und sie sollen einen Monat nach Bekanntgabe in Kraft treten. Für den Fall, dass das Hotel zu den Änderungen nicht Stellung nimmt, sollen sie durch die weitere Inanspruchnahme „des Services“ der Beklagten als vom Hotel angenommen gelten. Es kann dahinstehen, ob bei einer Veröffentlichung der Än-derungen im „Extranet“ von einer entsprechenden Willenseinigung auszugehen wäre. Denn es kann bereits nicht angenommen werden, dass eine Veröffentli-chung der AGB 2015 alt im „Extranet“ erfolgt ist. Damit können weder die Voraussetzungen für das Inkrafttreten der geänderten Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen gemäß der Änderungsvorbehaltsklausel in den AGB 2015 alt noch für eine Willenseinigung festgestellt werden. Denn ohne Kenntnis der Gerichts-standsklausel oder zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme bei normaler Sorgfalt konnte sich eine Einigung der Parteien nicht auf die Gerichtsstandsklau-sel erstrecken (vgl. EuGH, NJW 1977, 494 – Colzani/Rüwa; EuZW 2016, 635 Rn. 40 – Hőszig/Alstom Power Thermal Services; BGH, Urteil vom 28. März 1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819).
Die Klägerin hat behauptet, diese Version der Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen sei im „Extranet“ nicht abrufbar gewesen (Schriftsatz vom 20. März 2017 S. 7, GA 230) und sie habe von ihr auch nicht auf andere Weise Kenntnis erlangt (Schriftsatz vom 14. Dezember 2016, S. 4 GA 191). Diesem Vortrag ist die Beklagte nicht mit Substanz entgegengetreten. Sie hat sich vielmehr dem un-zutreffenden Standpunkt des Landgerichts angeschlossen, die Klägerin habe diese Version in der Klage zitiert und zum Gegenstand ihrer Beanstandung ge-macht, weshalb von einer wirksamen Einigung auszugehen sei (Schriftsatz vom 14. Juli 2017, S. 14, GA 308). Allerdings ist die Klägerin in der Klageschrift von der Anwendbarkeit der Gerichtsstandsklausel in den AGB 2015 ausgegangen. Damit hat sie jedoch lediglich eine Rechtsauffassung geäußert, die nicht im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO zugestanden werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2015 – IX ZR 1/13, ZIP 2015, 1303 Rn. 15). Unabhängig davon bindet ein Ge-ständnis der die Prozessvoraussetzungen begründenden Tatsachen ohnehin nicht (vgl. Althammer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 56 ZPO Rn. 5). Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung der Beklag-ten musste ihr nicht gemäß § 139 Abs. 2 ZPO Gelegenheit für weiteren Vortrag gegeben werden. Anlass für eine Darlegung der Veröffentlichung im „Extranet“ hatte die Beklagte bereits deshalb, weil die Klägerin auf den fehlenden Vortrag hierzu hingewiesen hatte (Schriftsatz vom 20. März 2017 S. 7, GA 230).
ee) Auf die Frage, ob der von der Beklagten behauptete internationale Handelsbrauch hinsichtlich der Einbeziehung geänderter Allgemeiner Geschäfts-bedingungen besteht, kommt es danach nicht an. Die Willenseinigung der Ver-tragsparteien über die Gerichtsstandsklausel wird zwar vermutet, wenn sie in einer Weise in die Geschäftsbeziehung eingeführt wird, die einem solchen Handelsbrauch entspricht, wenn dieser den Parteien bekannt ist oder als ihnen be-kannt angesehen werden muss (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – C-106/95, NJW 1997, 1431 Rn. 25 – MSG; RIW 2016, 357 Rn. 50 – Profit Investment SIM/Ossivgl; BGH, Urteil vom 26. April 2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rn. 23). Da von einer Veröffentlichung der AGB 2015 alt nicht ausgegangen werden kann, fehlt es jedoch an einer Einführung in die Geschäfts-beziehung.
ff) Auch die vom Landgericht angenommenen Gepflogenheiten im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b Brüssel-Ia-VO können lediglich die an-sonsten erforderliche Schriftform ersetzen, nicht jedoch die Einigung der Ver-tragsparteien (BGH, Urteile vom 25. Februar 2004 – VIII ZR 119/03, NJW-RR 2004, 1292, 1293, und vom 6. Juli 2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150, 152; WuW 2019, 143 Rn. 16), und damit auch nicht die unverzichtbare Einbeziehung der Gerichtsstandsklausel durch deren Kenntnisnahme oder zumindest die Mög-lichkeit der Kenntnisnahme.
d) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die identische Gerichts-standsklausel in den AGB 2015 neu. Die Klägerin hat von der Änderung zwar durch die E-Mail vom 25. Juni 2015 Kenntnis erlangt. Da die geänderten Bedin-gungen auf der verlinkten Internetseite veröffentlicht waren, hatte sie auch die Möglichkeit, die hier interessierende Gerichtsstandsklausel bei normaler Sorgfalt zur Kenntnis zu nehmen. Die Gerichtsstandsklausel ist jedoch nicht Gegenstand einer Willenseinigung der Parteien geworden. Denn die Klägerin hat mit der Gel-tung der geänderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ihr Einverständ-nis erklärt (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rn. 30). Die Klägerin hat ihrer Einbeziehung ausdrücklich widersprochen. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Zustimmung ergebe sich nach niederlän-dischem Recht daraus, dass die Beklagte den Vertrag durchgeführt habe. Wie ausgeführt (Rn. 28) richtet sich das Verständnis des Begriffs der Gerichtsstands-vereinbarung nicht nach dem niederländischen Recht. Es handelt sich vielmehr um einen autonomen Begriff des Unionsrechts. In der bloßen Vertragsdurchfüh-rung kann danach jedenfalls wegen des ausdrücklichen Widerspruchs der Klä-gerin keine Zustimmung zu der Geltung einer erweiterten Gerichtsstandsklausel gesehen werden (vgl. Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 217).
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 27.01.2017 – 14 HKO 108/15 Kart –
OLG Schleswig, Entscheidung vom 12.10.2017 – 16 U 10/17 Kart –
BGH, Urteil vom 31.07.2025, Az. I ZR 170/24
§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 6 UKlaG, § 6 UKlaG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG, § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG
Der BGH hat entschieden, dass eine Hyaluron-Behandlung mittels Injektion als operativer plastisch-chirurgischer Eingriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG zu werten ist. Für dessen Ergebnisse darf nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden . Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 03.07.2025 durch … für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29.08.2024 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist ein in die Liste qualifizierter Verbraucherverbände nach § 4 UKlaG eingetragener rechtsfähiger Verein.
Die Beklagte bietet in ihrer Praxis ästhetische Behandlungen des Ge-sichts, zum Beispiel medizinisch nicht indizierte Maßnahmen der Lippenformung, Nasenkorrektur und des Kinnaufbaus durch Unterspritzung mit Medizinproduk-ten, wie Fillern auf Hyaluronsäurebasis, sowie mit dem Muskelrelaxans Botox an.
Auf der Social-Media-Plattform Instagram warb die Beklagte unter Verwendung von Abbildungen (Anlage K1), die Patienten vor und nach der Behand-lung durch Unterspritzung der Haut mit Hyaluron oder Hyaluronidase zeigen sol-len.
Die Klägerin hält diese Werbung wegen Verstoßes gegen das Heilmittel-werbegesetz für unlauter und hat die Beklagte vorgerichtlich abgemahnt.
Das von der Klägerin erstinstanzlich angerufene Oberlandesgericht (OLG Hamm, GesR 2024, 803) hat die Beklagte antragsgemäß unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, außerhalb der Fachkreise für medizinisch nicht notwendige operative plastisch-chirurgische Eingriffe im Internet durch vergleichende Dar-stellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff (Vorher-Nachher-Darstellungen) zu werben und/oder werben zu lassen, wie ge-schehen ausweislich der Anlage K1.
Ferner hat das Oberlandesgericht der Klägerin den von ihr beantragten Abmahnkostenersatz nebst Zinsen zugesprochen. Mit ihrer vom Oberlandesge-richt zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, ver-folgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Oberlandesgericht hat die Klageanträge für begründet erachtet und hierzu ausgeführt, die Beklagte habe in unzulässiger Weise außerhalb der Fach-kreise für operative plastisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist zu-lässig (dazu nachfolgend II 1), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg (dazu nach-folgend II 2).
1. Die Revision der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft.
Nach § 6 Abs. 2 UKlaG findet bei Klagen nach dem Unterlassungsklagen-gesetz gegen die Urteile der nach § 6 Abs. 1 UKlaG erstinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte die Revision wie gegen Berufungsurteile der Oberlandesge-richte statt. Im Streitfall macht die Klägerin mit ihrer Klage eine Zuwiderhandlung gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 6 UKlaG in Verbindung mit § 11 HWG geltend. Das Oberlandesgericht hat die Revision gemäß § 6 Abs. 2 UKlaG in Verbindung mit § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen.
2. Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat den von der Klägerin als nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG anspruchsberechtigter Stelle geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG zu Recht zugesprochen, weil es sich bei den im Streitfall beworbenen Behandlungen um operative plastisch-chirurgische Eingriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG handelt (dazu nachfolgend II 2 b), der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG auch im Übrigen erfüllt ist (dazu nachfolgend II 2 c) und Grundrechte der Beklagten durch das ausgesprochene Verbot nicht verletzt werden (II 2 d). Somit hat das Oberlandesgericht die Beklagte auch dem Grunde und der Höhe nach zu Recht gemäß § 5 UKlaG, § 13 Abs. 3 UWG, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ersatz von Abmahnkosten nebst Zinsen ver-urteilt.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann im Interesse des Verbraucher-schutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 UKlaG sind Verbraucher-schutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift insbesondere die §§ 3 bis 13 HWG. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG darf für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG genannten operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe nicht mit der Wir-kung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzu-standes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben werden. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG findet dieses Gesetz Anwendung auf die Wer-bung für operative plastisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des mensch-lichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit.
b) Das Oberlandesgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die Ausle-gung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG führe zu dem Ergebnis, dass es sich bei den im Streitfall beworbenen Behandlungen um operative plastisch-chirurgi-sche Eingriffe im Sinne dieser Vorschrift handele.
aa) Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, bei den von der Beklagten beworbenen Behandlungen durch Unterspritzen der Haut mit Hyaluron oder Hyaluronidase handele es sich um medizinisch nicht notwendige operative plas-tisch-chirurgische Eingriffe zur Veränderung des menschlichen Körpers. Auch wenn Wortlaut und allgemeiner Sprachgebrauch nahelegten, dass ein operativer plastisch-chirurgischer Eingriff mittels Skalpell erfolge, sei unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Werbeverbots bereits ein instrumenteller Eingriff, mit dem Form- und Gestaltveränderungen an Organen oder der Körperoberfläche vorge-nommen würden, von diesem Begriff erfasst. Die Einbeziehung solcher Eingriffe in den Anwendungsbereich des Werbeverbots entspreche seinem Zweck, die Bevölkerung vor Gesundheitsschäden und Risiken zu schützen, die mit medizi-nisch nicht notwendigen schönheitschirurgischen Eingriffen verbunden seien, und wahre auch das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision spricht der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG nicht dagegen, Behandlungen in den Rechtsbegriff des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs einzubeziehen, bei denen Ver-änderungen der Körperform oder -gestalt durch Unterspritzen der Haut mit Hyaluron oder Hyaluronidase herbeigeführt werden.
Die Revision ist der Auffassung, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei ein operativer plastisch-chirurgischer Eingriff nur ein invasiver medizinischer, von Fachärzten der plastischen Chirurgie und unter Vollnarkose oder im Däm-merschlaf des Patienten durchgeführter Eingriff, bei dem mittels eines chirurgi-schen Instruments Gewebe durchtrennt oder manipuliert werde und Schnitte er-forderlich seien, die später vernäht würden, bei dem mit einer postoperativen Be-lastung in Form von Schwellungen, Blutergüssen und Schmerzen zu rechnen sei und der mit einer dauerhaften Form- oder Gestaltveränderung einhergehe.
Dies bildet jedoch nur einen Teil des vom Wortlaut der Vorschrift umfass-ten Begriffsinhalts ab. Dem Wortsinn nach ist ein operativer Eingriff in Abgren-zung zu konservativen medizinischen Therapieformen der mittels eines Instru-ments durchgeführte chirurgische Eingriff in den lebenden menschlichen Orga-nismus, der die körperliche Integrität des Patienten aufhebt, ohne dass hierfür die Eröffnung der Körperoberfläche etwa mittels eines Skalpells oder eines Mes-sers zwingend ist (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2022, 1768 [juris Rn. 26 f.]; Meyer, GRUR 2006, 1007). Als operativer plastisch-chirurgischer Eingriff kann daher dem Wortlaut nach schon ein Vorgang angesehen werden, bei dem mittels eines Instruments – hier: einer Kanüle – in den menschlichen Körper eingegriffen und seine Form oder Gestalt – hier: durch Einbringung einer Substanz (Hyaluron oder Hyaluronidase) – verändert werden (OLG Koblenz, WRP 2024, 1002 [juris Rn. 31 f.]; BeckOK.HWG/Doepner/Reese, 14. Edition, Stand: 1. Mai 2025, § 11 Rn. 643; Spickhoff/Fritzsche, Medizinrecht, 4. Aufl., § 11 HWG Rn. 51; Meyer, GRUR 2006, 1007; für Faltenbehandlung mit Botulinumtoxin aA Münch-Komm.UWG/Köber, 3. Aufl., § 11 HWG Rn. 87). Insbesondere auf die Frage, ob die Gestalt- oder Formveränderung des Körpers dauerhaft und irreversibel ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, so dass der Annahme eines ope-rativen plastisch-chirurgischen Eingriffs – anders als die Revision meint – nicht entgegensteht, dass Hyaluron vom Körper abgebaut und die Formveränderung durch das Spritzen von Hylase rückgängig gemacht werden kann.
cc) Die Revision vermag auch nicht mit Erfolg auf einen dem weiten Be-griffsverständnis entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers zu verweisen.
Nach der Gesetzesbegründung sollten durch die Einfügung des Begriffs des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs in § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG aF Schönheitsoperationen in den Anwendungsbereich des Heilmittelwerberechts einbezogen werden, um suggestive und irreführende Werbung hierfür zu verbie-ten und zu vermeiden, dass sich Personen unnötigerweise den mit solchen Ope-rationen verbundenen Risiken erheblicher Gesundheitsschäden aussetzen. Als Beispiele für schönheitschirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit werden Brustvergrößerungen durch Implantate oder die Fettabsaugung zur Ver-änderung der Körperform genannt (s. Begründung des Entwurfs eines 14. Ge-setzes der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 15/5316, S. 46). Diese Aufzählung von opera-tiven Eingriffen ist lediglich beispielhaft und nicht abschließend, so dass sie sich für einen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers nicht anführen lässt. Die Revisionserwiderung weist zudem zu Recht darauf hin, dass die im Streitfall zu beurteilende Behandlungsmethode ebenfalls einen invasiven Eingriff darstellt, bei dem mittels einer Kanüle eine Substanz in den Körper eingebracht wird.
Soweit die Revision geltend macht, der Gesetzentwurf des Bundesrates führe aus, durch die Beschränkung auf „operative“ Verfahren werde klargestellt, dass andere Verfahren mit Auswirkungen auf den Körper, wie zum Beispiel Ohr-lochstechen, Piercen und Tätowieren, nicht in den Anwendungsbereich des Heil-mittelwerbegesetzes fallen sollen (s. Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ände-rung des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, BT-Drucks. 15/4117, S. 7), ist zunächst festzuhalten, dass dieser Gesetzentwurf vom Bundestag abgelehnt wurde (s. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 15. Wahlperiode, 181. Sitzung vom 16. Juni 2005, S. 17112 C), so dass ihm eine Aussage über den gesetzgeberischen Willen im vorliegenden Zusammenhang nicht entnommen werden kann. Der Gegenüberstellung von operativen Eingriffen und anderen Verfahren (Ohrlochstechen, Piercen und Tätowieren) ist zudem allenfalls zu entnehmen, dass dem Gesetzentwurf hier die Einschätzung einer abgestuften Erheblichkeit von möglichen Eingriffen zugrunde lag, die nicht gegen ein weites Verständnis des Begriffs des operativen plastisch-chirurgischen Ein-griffs spricht (vgl. auch OLG Düsseldorf, GRUR 2022, 1768 [juris Rn. 39]; OLG Köln, WRP 2024, 102 [juris Rn. 33]). Im Übrigen stellen Ohrlochstechen, Piercen und Tätowieren keine operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe, sondern ledig-lich ästhetische Veränderungen der Hautoberfläche dar (vgl. OLG Koblenz, WRP 2024, 1002 [juris Rn. 32]; BeckOK.HWG/Doepner/Reese aaO § 11 Rn. 644).
dd) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, systematische Gründe sprä-chen gegen das vom Oberlandesgericht vertretene weite Begriffsverständnis.
Zwar trifft es zu, dass der Begriff des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs enger ist als die zuvor in § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG genannten „Verfahren oder Behandlungen“ und dass der Gesetzgeber durch die in den Buchstaben a) bis c) dieser Vorschrift folgenden Spezifikationen nur einen Ausschnitt aus jegli-chen Mitteln, Verfahren oder Behandlungen in den Anwendungsbereich des Heil-mittelwerbegesetzes einbeziehen wollte. Darüber hinaus lässt sich aus diesem Befund jedoch systematisch für die Definition des spezifischen Begriffs des ope-rativen plastisch-chirurgischen Eingriffs nichts ableiten.
ee) Das Oberlandesgericht hat – entgegen der Auffassung der Revision – in rechtsfehlerfreier Weise mit Blick auf den gesetzlichen Schutzzweck eine weite Auslegung des Begriffs des operativen plastisch-chirurgischen Eingriffs zugrunde gelegt.
Der Schutzzweck der Einbeziehung sogenannter Schönheitsoperationen in den Anwendungsbereich des Heilmittelwerberechts in § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c HWG besteht darin, unsachliche Einflüsse durch potentiell suggestive und irreführende Werbung für medizinisch nicht notwendige Eingriffe zurückzu-drängen, die Entscheidungsfreiheit betroffener Personen zu schützen und zu ver-meiden, dass sich diese Personen unnötigen Risiken aussetzen, die ihre Ge-sundheit gefährden können (s. BT-Drucks. 15/5316, S. 46). Dieser Schutzzweck liegt gleichermaßen dem später zur Klarstellung eingefügten Verbot der Vorher-Nachher-Abbildungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG zugrunde (vgl. Regie-rungsentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und ande-rer Vorschriften, BT-Drucks. 17/9341, S. 71; zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. BeckOK.HWG/Doepner/Reese aaO § 11 Rn. 621 bis 624). Eine unsachliche Beeinflussung soll umso weniger hinzunehmen sein, wenn die Risiken des Ein-griffs durch keinerlei medizinische Vorteile aufgewogen werden können (BeckOK.HWG/Doepner/Reese aaO § 11 Rn. 631).
Diesem Schutzzweck trägt die vom Oberlandesgericht vorgenommene Auslegung Rechnung. Entgegen der Ansicht der Revision handelt es sich hierbei mithin nicht um eine das gesetzgeberische Ziel der Norm verfehlende oder ver-fälschende Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass der Inkaufnahme erheblicher gesundheitlicher Risiken infolge der suggestiven oder gar irreführenden Wirkung einer Werbung für schönheitsoperative Ein-griffe mit Vorher-Nachher-Abbildungen angesichts des Umstands, dass diese Eingriffe medizinisch nicht notwendig sind, entgegengewirkt werden soll (vgl. auch OLG Düsseldorf, GRUR 2022, 1768 [juris Rn. 36]; OLG Köln, WRP 2024, 102 [juris Rn. 31]).
ff) Das Oberlandesgericht hat bei seiner Auslegung den Sachvortrag der Beklagten umfassend gewürdigt und dabei den Erfordernissen des § 286 ZPO und des § 139 ZPO Rechnung getragen. Die Rüge der Revision, das Oberlan-desgericht habe Vortrag übergangen und überraschend entschieden, bleibt da-her ohne Erfolg.
(1) Insbesondere hat das Oberlandesgericht sich mit dem Vortrag der Beklagten befasst, die Unterspritzung mit Hyaluronsäure sei im Vergleich zu ei-ner herkömmlichen Nasenoperation durch Umformung von Knochen oder Knor-pel deutlich weniger riskant und invasiv. Das Oberlandesgericht hat unter Bezug-nahme auf die von der Beklagten selbst angegebenen Nebenwirkungen wie Schmerzen, Schwellungen, blaue Flecken oder Rötungen sowie in enorm selte-nen Fällen Infektionen, allergische Reaktionen oder Embolien in tatgerichtlicher Würdigung angenommen, dass diese Risiken und Nebenwirkungen der vorlie-gend betroffenen Behandlung in rechtlicher Hinsicht erheblich sind. Die Revision macht eine abweichende Risikobeurteilung geltend, ohne Rechtsfehler der tat-gerichtlichen Würdigung aufzuzeigen. Auf die von der Beklagten unter das Ange-bot des Sachverständigenbeweises gestellte Frage, ob die Unterspritzung mit Hyaluron im Hinblick auf die damit verbundenen Gesundheitsgefahren gleichzu-setzen sei mit dem Stechen von Ohrlöchern, Piercen oder Tätowieren, kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil diese Maßnahmen – wie bereits dargelegt (dazu Rn. 20) – keine operativen plastisch-chirurgischen Eingriffe darstellen.
(2) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts war auch nicht mangels eines nach § 139 Abs. 2 ZPO veranlassten gerichtlichen Hinweises überra-schend. Eines gerichtlichen Hinweises bedarf es, wenn das Gericht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen will, den es anders beurteilt als die Parteien und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – I ZR 27/23, GRUR 2024, 1332 [juris Rn. 55] = WRP 2024, 1210 – Gesamt-vertrag Kabelweitersendung, mwN). Die Beklagte musste angesichts ihres eige-nen Vortrags damit rechnen, dass das Oberlandesgericht die darin beschriebe-nen gesundheitlichen Risiken als hinreichend gewichtig ansehen würde.
c) Das Oberlandesgericht hat weiter rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG auch im Übrigen erfüllt ist, weil die Beklagte mit der Wirkung der Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach dem Eingriff geworben hat. Gegen die Beurteilung des Oberlandesgerichts, aus Sicht des angesproche-nen Verkehrs zeigten die Abbildungen den Zustand vor und nach dem von der Beklagten durchgeführten, medizinisch nicht notwendigen operativen plastisch-chirurgischen Eingriff, wendet sich die Revision nicht. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
d) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt keine Grundrechte der Beklagten. Die Revision rügt vergebens eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit.
aa) Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit kann der Ge-setzgeber durch Berufsausübungsregelungen einschränken, wenn sie durch hin-reichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung den Betroffenen zumutbar ist. Dem Gesetzgeber kommt dabei eine weite Gestaltungsfreiheit zu, insbesondere wenn die Vorschrift keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 1991 – 1 BvR 381/90, juris Rn. 13 mwN; BGH, Urteil vom 8. Februar 2024 – I ZR 91/23, GRUR 2024, 704 [juris Rn. 45] = WRP 2024, 696 – Großhan-delszuschläge II). Das der angegriffenen Entscheidung zugrundeliegende Wer-beverbot des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG betrifft die Beklagte in ihrer Berufs-ausübung, hat aber keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter. Es dient mit dem Gesundheitsschutz einem gewichtigen Gemeinwohlzweck und ist – ebenso wie das ausgesprochene Verbot – zu dessen Wahrung auch geeignet, erforder-lich und der Beklagten zumutbar.
bb) Die im Werbeverbot des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG liegende Ein-schränkung der Meinungsäußerungsfreiheit, die auch die kommerzielle Mei-nungsäußerung und Wirtschaftswerbung umfasst (vgl. nur BVerfG, GRUR 2007, 1083 [juris Rn. 22]), ist – ebenso wie die angegriffene Entscheidung – angesichts des betroffenen Schutzguts der Gesundheit als wichtigem Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, GRUR 2007, 1083 [juris Rn. 41]) ebenfalls verhältnismäßig. Der Beklagten ist nicht jegliche Werbung für die von ihr durchgeführten Behandlun-gen, sondern lediglich die werbliche Verwendung von Vorher-Nachher-Abbildun-gen verboten.
e) Unionsrechtliche Fragen sind nicht aufgeworfen, da das Werbeverbot des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HWG nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktin-ternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern oder der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt fällt (vgl. OLG Koblenz, WRP 2016, 1293 [juris Rn. 10 bis 13]; BeckOK.HWG/Doepner/Reese aaO § 11 Rn. 657).
III. Danach ist die Revision auf Kosten der Beklagten zurückzuweisen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Vorinstanz:
OLG Hamm, Entscheidung vom 29.08.2024, Az. I-4 UKl 2/24
LG Düsseldorf, Urteil vom 28.02.2024, Az. 34 O 24/23
§ 305 BGB, § 339 BGB
Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Unterlassungsverpflichtungserklärung, mit der sich ein Unternehmen dem Wortlaut nach verpflichtet, zu unterlassen, für Haushaltselektrogeräten für Einbauküchen zu werben, ohne auf das Spektrum der auf dem Etikett verfügbaren Energieeffizienzklassen hinzuweisen ebenfalls (als kerngleichen Verstoß) erfasst, dass ein veraltetes bzw. falsches Spektrum der auf dem Etikett verfügbaren Energieeffizienzklassen verwendet wird. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Düsseldorf
Urteil
…
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2022 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe.
3Der Kläger ist ein eingetragener Verein und verfolgt unter anderem den Zweck, die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder zu fördern und durch Beteiligung an der Rechtsforschung, Aufklärung und Belehrung im Zusammenwirken mit den zuständigen Stellen der Rechtspflege den unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen bzw. den lauteren Wettbewerb zu fördern. Die Beklagte betreibt zahlreiche Einrichtungs- und Küchenmärkte.
4Der Kläger mahnte die Beklagte am 23.10.2017 wegen eines Verstoßes gegen die VO (EU) 2017/1369 ab, nachdem diese bei der Bewerbung von Haushaltsgeräten das Spektrum der auf dem Etikett vorhandenen Energieeffizienzklassen nicht genannt hatte (Anlage K 1). Die Beklagte gab hierauf eine Unterlassungsverpflichtungserklärung (Anlage K 2) ab, mit der sie sich verpflichtete, „es zu unterlassen, in Prospekten zu Zwecken des Wettbewerbs für mit bestimmten Haushaltselektrogeräten ausgestatteten Einbauküchen zu werben, ohne dabei auf das Spektrum der auf dem Etikett der Haushaltsgeräte verfügbaren Energieklassen hinzuweisen, wenn dies geschieht wie aus der Anlage ersichtlich.“. Für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung versprach sie, an den Kläger eine Vertragsstrafe von bis zu 5.500,00 € zu zahlen. Mit Schreiben vom 17.11.2017 lehnte der Kläger die angebotene Unterlassungsverpflichtungserklärung mit dem Hinweis darauf ab, dass die versprochene Vertragsstrafe zu gering sei und das Unterlassungsversprechen auf das Werbemedium Prospekte beschränkt sei. Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 5.12.2017 klar, dass von der Unterlassungsverpflichtungserklärung auch alle anderen Werbemedien erfasst sein sollen, und erhöhte die Vertragsstrafe auf einen Betrag von bis zu 7.500,00 €. Diese Erklärung nahm der Kläger an.
5Im August 2022 warb die Beklagte im Internet für die Ausstellungsküche „J“ inklusive Elektrogeräten zu einem herabgesetzten Preis in Höhe von 5.495,00 €. Diese Küche war u.a. mit einer Dunstabzugshaube ausgestattet, für die die Beklage in ihrer Beschreibung auf die „Energieeffizienzklasse* A“ hinwies. In dem Sternchen-Text hieß es: „*Energieeffizienzklasse, Spektren: Geschirrspüler A – G, Kühl- und Gefrierschränke A – G, Backöfen und Herde A+++ – D, Dunstabzüge A+ – F“ (Anlage K 5). Daneben bewarb die Beklagte die Ausstellungsküche „O“ inklusive Elektrogeräten zu einem herabgesetzten Preis in Höhe von 8.495,00 €. Die enthaltene Dunstabzugshaube wurde ebenfalls mit „Energieeffizienzklasse* A“ angegeben und im Sternchen-Text hieß es: „*Energieeffizienzklasse, Spektren: Geschirrspüler A – G, Kühl- und Gefrierschränke A – G, Backöfen und Herde A+++ – D, Dunstabzüge A+ – F“ (Anlage K 6). Gemäß der VO (EU) 65/2014 beträgt das Spektrum für Haushaltsbacköfen und -dunstabzugshauben seit dem 01.01.2020 A+++ bis D.
6Mit Schreiben vom 27.10.2022 forderte der Kläger die Beklagte u.a. zur Zahlung einer verwirkten Vertragsstrafe in Höhe von 7.000,00 € bis zum 22.11.2022 auf. Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab.
7Der Kläger macht geltend, die unzutreffende Angabe des Spektrums stehe einer fehlenden Angabe gleich.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2022 zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte macht geltend, die Vertragsstrafe sei nicht verwirkt, weil sie sich nur zur Unterlassung einer Werbung ohne Angabe des Spektrums verpflichtet habe. In der angegriffenen Werbung sei aber jeweils ein – wenn auch unzutreffendes – Spektrum angegeben. Zudem sei die angesetzte Vertragsstrafe zu hoch.
13Wegen des weiteren Sachvortrags beider Parteien wird auf deren wechselseitig zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist zulässig und begründet.
16I.
17Der Kläger hat gegen die Beklagte wegen der streitgegenständlichen Werbung einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 7.000,00 € gemäß §§ 305, 339 BGB i.V.m. dem Unterlassungsvertrag nebst Zinsen.
181.
19Zwischen den Parteien ist ein Unterlassungsvertrag zustande gekommen. Die Beklagte hat sich darin verpflichtet es zu unterlassen, für mit Haushaltselektrogeräten ausgestattete Einbauküchen zu werben und dabei nicht auf das Spektrum der auf dem Etikett der Haushaltsgeräte verfügbaren Energieklasse hinzuweisen. In dem Internetangebot der Beklagten werden beide streitgegenständlichen Küchen jeweils mit Haushalts-Elektrogeräten beworben. Die im jeweiligen Küchen-Angebot enthaltene Dunstabzugshaube wird unstreitig mit einem falschen Spektrum ausgewiesen. Dadurch ist die Vertragsstrafe verwirkt, weil die falsche Angabe des Spektrums einer fehlenden Angabe gleichsteht.
20Ein Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtungserklärung liegt nicht nur vor, wenn eine identische Werbung veröffentlicht wird, sondern auch dann, wenn eine im Kern gleiche Werbung im Streit steht. Zweck eines Unterlassungsvertrages ist es regelmäßig, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung auszuräumen und damit die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr gilt jedoch nicht allein für die genau identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen. Kerngleich sind Verletzungsformen, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt und die den Kern der Verletzungshandlung unberührt lassen. Insoweit ist eine Unterlassungsverpflichtung der Auslegung zugänglich, um dem Schuldner mögliche und zumutbare Handlungspflichten zu entnehmen, die erforderlich sind, um dem Unterlassungsgebot durch Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands zu genügen, der gleichbedeutend mit der Fortsetzung des Störungszustands ist. Die Auslegung findet ihre Grenze durch den Gegenstand des Erkenntnisverfahrens. Für den Schuldner muss erkennbar sein, was ihm untersagt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022 – 1 BvR 1021/17).
21Mit der Unterlassungsverpflichtungserklärung aus dem Jahr 2017 hat sich die Beklagte ihrem Wortlaut nach verpflichtet zu unterlassen, für Haushaltselektrogeräten für Einbauküchen zu werben, ohne auf das Spektrum der auf dem Etikett verfügbaren Energieeffizienzklassen hinzuweisen. Das Spektrum der auf dem Etikett verfügbaren Energieeffizienzklassen ermöglicht dem Verbraucher, die mit dem Betrieb des Geräts verbundenen Stromkosten abschätzen zu können. Geräte mit einer niedrigen Energieeffizienzklasse sind regelmäßig teurer als Geräte mit einer höheren Energieeffizienzklasse wegen des damit einhergehenden höheren Stromverbrauchs. Die Energieeffizienzklasse ist damit ein wertbildender Faktor und daher ein wesentliches Entscheidungskriterium für den Kauf einer Ware. Den durch seine Energieeffizienzklasse bestimmten Wert eines Geräts kann der Verbraucher aber auch dann nicht ermitteln, wenn – wie hier – ein unzutreffendes Spektrum angegeben wird. In diesem Fall kann der Verbraucher ebenfalls keinen zutreffenden Vergleich mit anderen Angeboten vornehmen. Eine Werbung mit einer falschen Angabe des Spektrums ist daher kerngleich zu einer Werbung mit einer fehlenden Angabe.
22Der Annahme eines Verstoßes gegen die Unterlassungsvereinbarung steht auch nicht entgegen, dass im vorliegenden Fall (nur) ein veraltetes Spektrum und nicht ein gänzlich falsches Spektrum angegeben wurde. Die ständige Erneuerung des Energieeffizienzspektrums zeigt die Fortschritte in diesem Bereich. Ein veraltetes Spektrum ermöglicht dem Verbraucher ebenfalls keine zutreffende Einschätzung des angebotenen Geräts hinsichtlich seiner Energieeffizienz und damit seines Werts. Das von der Beklagten jeweils ausgewiesene Spektrum war zudem nicht das Vorgängerspektrum, sondern das (nur) bis zum 31.12.2017 gültige Spektrum. Mittlerweile lautet das einschlägige Spektrum tatsächlich von A+++ bis D.
232.
24Der Verstoß erfolgte auch schuldhaft. Die objektive Zuwiderhandlung lässt das Verschulden vermuten. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
253.
26Die vom Kläger festgesetzte Höhe ist auch angemessen. Dem Bestimmungsberechtigten steht bei der Bestimmung der Strafhöhe ein Ermessensspielraum zu und ist erst dann durch das Gericht zu ersetzen, wenn die durch § 315 Abs. 3 BGB gezogenen Grenzen überschritten sind, nicht dagegen schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält. Im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB besteht damit nur ein beschränktes Kontrollrecht und kein Nachbesserungsrecht dahingehend, die Ermessensentscheidung des primär Bestimmungsberechtigten durch eine eigene, für besser und billiger gehaltene zu ersetzen. Im Rahmen der Billigkeitskontrolle ist zu beachten, dass Unterwerfungserklärungen, die nach Wettbewerbsverstößen abgegeben werden, neben der Schadenspauschalierung in Bezug auf zukünftige Rechtsverletzungen vor allem dazu dienen, den Unterlassungsschuldner dadurch zur Einhaltung der von ihm versprochenen Unterlassungspflicht zu bewegen, dass er aufgrund der versprochenen Strafe vor weiteren Verstößen zurückschreckt. Deshalb muss die Vertragsstrafe so hoch sein, dass sich ein Verstoß für den Verletzer voraussichtlich nicht mehr lohnt. Die Frage, wie hoch eine Vertragsstrafe bemessen sein muss, um dieser Funktion gerecht zu werden, ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantworten. Dabei ist auf die Schwere und das Ausmaß der begangenen Zuwiderhandlung, auf deren Gefährlichkeit für den Gläubiger, auf das Verschulden des Verletzers sowie auf Art und Größe des Unternehmens des Schuldners abzustellen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.12.2015 – 4 U 191/14).
27Bei der Beklagten handelt es sich um ein großes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von ca. 230 Mio. €. Die Energieeffizienz eines Geräts ist für den Verbraucher aufgrund des zunehmenden ökologischen Bewusstseins und der gestiegenen Strompreise von erheblicher Bedeutung. Streitgegenständlich sind zudem zwei unabhängig voneinander verwirklichte Verstöße, die jeweils im Internet erfolgten und damit in beiden Fällen eine Vielzahl von Verbrauchern erreichten. Schließlich hat die Beklagte selbst in ihrem Schreiben vom 05.12.2017 eine Vertragsstrafe von bis zu 7.500,00 € für einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung für angemessen erachtet.
284.
29Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
30II.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich gemäß § 709 S. 1 und 2 ZPO.
32Der Streitwert wird auf 7.000,00 EUR festgesetzt.
LG Berlin II, Urteil vom 20.08.2025, Az. 2 O 202/24
§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, § 818 Abs. 2 BGB
Das LG Berlin II hat entschieden, dass die Verwendung einer per KI-erzeugten Stimme, welche der Stimme eines bekannten Synchronsprechers eines ehemaligen US-amerikanischen Filmstars ähnelt, Bereicherungsansprüche des Synchronsprechers auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr in Höhe von von 4.000 € auslöst. In Rechtsprechung und Literatur, so die Kammer, sei anerkannt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht an der eigenen Stimme umfasse, auch wenn es – anders als der Bildnisschutz gemäß §§ 22ff. KUG – spezialgesetzlich nicht geregelt sei. Die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung stehe der durch Bild und Namensverwendung bei der Verwendung einer bekannten Stimme zu Werbezwecken in nichts nach (so bereits OLG Hamburg, Beschluss vom 08.05.1989, Az. 3 W 45/89 -, juris Rn 9. zur Nachahmung der Stimme eines verstorbenen Komikers durch einen Stimmenimitator). In der Rechtsprechung bleibe die dogmatische Herleitung zumeist offen. Diese Frage könne aber auch hier offen bleiben, denn auch der BGH gehe davon aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Ausprägungen auch Vermögenswerte Interessen der Person schützen und dass der Abbildung, dem Namen, aber auch sonstigen Merkmalen der Persönlichkeit wie etwa der Stimme ein beträchtlicher wirtschaftlicher Wert zukommen könne. Die Persönlichkeitsrechte sollten danach die dem Berechtigten zustehende freie Entscheidung darüber schützen, ob und unter welchen Voraussetzungen sein Bildnis oder sein Name – entsprechendes gilt für andere kennzeichnende Persönlichkeitsmerkmale – den Geschäftsinteressen Dritter dienstbar gemacht würden (BGH, Urteil vom 01.12.1999, Az. I ZR 49/97, juris Rn. 50, 51). Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Berlin II
Urteil
In dem Rechtsstreit
..
hat das Landgericht Berlin II – Zivilkammer 2 – durch … als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2025 für Recht erkannt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Oktober 2023 zu zahlen;
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.155,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.088,60 € seit dem 16.10.2023 und aus einem weiteren Betrag von 67,20 € seit dem 16.11.2023 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen der Verwendung einer KI-generierten Stimme durch den Beklagten.
Der Kläger ist deutscher Schauspieler, Synchronsprecher, sowie Hörbuch- und Hörspielsprecher. Er synchronisiert u.a. den Schauspieler … dessen Filmen. Der Beklagte ist Betreiber eines YouTube Kanals unter der Bezeichnung … Kanal hat zurzeit 190.000 Abonnenten. Der Beklagte ist zudem Betreiber eines Online-Shops. Für darin veräußerte Waren wird verwiesen auf die Abbildungen auf Seite 3 und 4 der Replik.
Der Beklagte verbreitete auf seinem YouTube Kanal zwei Videos, die mit durch eine KI erzeugten Stimme unterlegt waren, mit dem Titel „…“ und „…“ in denen es um mit der damaligen Regierung geht. Für den weiteren Inhalt der Videos und die verwendete Stimme wird verwiesen auf die Anlagen K 1 und K 2 bzw. den übersandten USB-Stick.
Mit anwaltlichem Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 28. September 2023 (Anlage K6) wurde der Beklagte wegen der Nutzung der Stimme des Klägers auf Unterlassung in Anspruch genommen und zum Ersatz der durch die Abmahnung entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von Netto 1.088,60 EUR nach einem Gegenstandswert von 20.000,00 EUR bis zum 15.10.2023 aufgefordert. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2023 (Anlage K8) nahm der jetzige Prozessbevollmächtigte im Namens des Klägers die vom Beklagten abgegeben Unterlassungserklärung an und forderte den Beklagten vergeblich zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 2.000,00 EUR pro Clip sowie zur Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, nunmehr bemessen nach einem Gegenstandswert von 24.000 €, bis zum 14.11.2023 auf.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe seine durch Kl erzeugte Stimme verwendet. Seine Stimme sei auch von den Kommentatoren der Videos als die Synchronstimme von … bzw. seine Stimme identifiziert worden. Durch die Verwendung seiner Stimme durch den Beklagten greife dieser in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, hier das Recht an der eigenen Stimme, ein. Es mache keinen Unterschied, ob die Stimme durch einen realen Stimmimitator oder eine Kl generiert werde. Der Lizenzschaden von jeweils 2.000 € entspreche seiner üblichen Honorarpraxis. Der Beklagte müsse ihm auch die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten ersetzen.
Der Kläger beantragt:
1. an den Kläger 4.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9% über dem Basiszinssatz ab 28. September 2023 zu zahlen;
2. an den Kläger 1.088,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 % über dem Basiszinssatz ab dem 28. September 2023 zu zahlen;
3. an den Kläger 67,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er habe bei der Gestaltung seiner Satire-Videos einfach eine authentische Stimme mit heldenhaftem Klang wählen und die ihm von der Kl-Software vorgeschlagene synthetische Imitation einer Stimme – keine original gesprochene Stimme – genutzt. Vielmehr handelt es sich um eine KI-generierte Stimme, die der Stimmlage von … war ähnlich sei, es sei aber eben nicht dieselbe Stimme – also nicht die Stimme des Klägers. Das habe sich auch in der mündlichen Verhandlung am 25.3.2025 gezeigt. Er dürfe eine Stimme, die er „gekauft“ habe und für die er somit praktisch die „Nutzungsrechte“ habe, natürlich nutzen. Die Stimme werde insoweit in der Öffentlichkeit von einem objektiven Erklärungsempfänger … und nicht dem Kläger zugeordnet. Ein Zahlungsanspruch bestehe auch deshalb nicht, weil keine werbliche Ausbeutung vorliege, sondern eine Nutzung in einem Satireformat. Da die Abmahnung nicht berechtigt gewesen sei, bestehe auch kein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Für das weitere Vorbringen der Parteien wird Bezug genommen auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des … . Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.7.2025.
Gründe
Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, § 818 Abs. 2 BGB auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr von 4.000 € für die Nutzung seiner Stimme zu.
a) Der Beklagte hat in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts an der eigenen Stimme des Klägers eingegriffen.
aa) In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht an der eigenen Stimme umfasst, auch wenn es – anders als der Bildnisschutz gemäß §§ 22ff. KUG – spezialgesetzlich nicht geregelt ist. Die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung steht der durch Bild und Namensverwendung bei der Verwendung einer bekannten Stimme zu Werbezwecken in nichts nach (so bereits Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 8. Mai 1989 – 3 W 45/89 -, juris Rn 9. zur Nachahmung der Stimme eines verstorbenen Komikers durch einen Stimmenimitator). In der Rechtsprechung bleibt die dogmatische Herleitung zumeist offen. Zum Teil wird in der Literatur auf eine analoge Anwendung der §§ 22ff. KUG abgestellt, zum Teil ein besonderes Persönlichkeitsrecht angenommen oder der Schutz über das allgemeine Persönlichkeitsrecht bejaht (vgl. Götting/Schertz/Seitz, Handbuch Persönlichkeitsrecht, 2. Auflage 2019, § 16 Rn. 20ff. m.w.N.). Diese Frage kann aber auch hier offen bleiben, denn auch der BGH geht davon aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Ausprägungen auch Vermögenswerte Interessen der Person schützen und dass der Abbildung, dem Namen, aber auch sonstigen Merkmalen der Persönlichkeit wie etwa der Stimme ein beträchtlicher wirtschaftlicher Wert zukommen kann. Die Persönlichkeitsrechte sollen danach die dem Berechtigten zustehende freie Entscheidung darüber schützen, ob und unter welchen Voraussetzungen sein Bildnis oder sein Name – entsprechendes gilt für andere kennzeichnende Persönlichkeitsmerkmale – den Geschäftsinteressen Dritter dienstbar gemacht wird (BGH v. 1.12.1999, 1 ZR 49/97, juris Rn. 50, 51).
bb) In dieses Recht hat der Beklagte dadurch eingegriffen, dass er eine KI-erzeugte Stimme des Klägers genutzt hat, um von ihm hergestellte Videos zu vertonen und anschließend zu verbreiten. Natürlich handelte sich dabei nicht um „die“ Stimme des Klägers, sondern einer von einer Kl erzeugten Nachahmung dieser Stimme. Insofern ist die Frage eines Eingriffs aber nicht anders zu beurteilen, als wenn die Nachahmung durch einen Stimmenimitator erfolgt wäre (vergleiche bereits OLG Hamburg, a-a-O., Ellenberger, Persönlichkeits- und Urheberrechte beim Voice Cloning, Rdi 2024, 599, 605). Jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums wird angesichts der Ähnlichkeit der in den Videos verwendeten Stimme mit der vom Kläger als Synchronstimme für den Schauspieler … genutzten Stimme davon ausgehen, dass der Kläger als Synchronstimme von … den Kommentar zu den Videos gesprochen hat. Das zeigt sich auch durch die von ihm vorgelegten Kommentare zu den Videos, in denen zum Teil sogar sein Name genannt wird (Anlage K 3). Es ist unerheblich, dass nach Ansicht des Beklagtenvertreters die vom Kläger bei seiner persönlichen Anhörung zu hörende Stimme davon abweicht. Der Kläger spricht vor Gericht nicht die Synchronstimme von …, sondern seine eigene „normale“ Stimme, auch wenn nach Einschätzung des Gerichts insoweit eine deutliche Ähnlichkeit zu der gerichtsbekannten Synchronstimme von … besteht. Dass ein durchschnittlicher Betrachter des Videos davon ausgeht, es handele sich bei der zu hörenden Stimme um die von …, erscheint dagegen fernliegend, da es allgemein bekannt ist, dass … kein Deutscher ist und seine Filme synchronisiert werden. Ob allen Betrachtern bekannt ist, dass gerade der Kläger die deutsche Synchronstimme von … spricht, ist ebenfalls nicht relevant. Entscheidend ist die durch die gezielt herbeigeführte Ähnlichkeit der Stimmen hervorgerufene Zuordnungsverwirrung, aufgrund deren Betrachter denken können, der Synchronsprecher der deutschen Stimme von … habe der Verwendung seiner Stimme für die Vertonung der Videos zugestimmt.
b) Der Eingriff erfolgte ohne Rechtsgrund. Er war nicht gerechtfertigt, auch nicht analog §§ 22, 23 KUG.
aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Eingriff hier geschäftlichen Interessen des Beklagten dient. Zwar mag den Videos ein satirischer Gehalt nicht abgesprochen werden können. Der Ersteller macht sich über die aus seiner Sicht bestehende Inkompetenz der damaligen Regierung lustig. Es geht jedoch – anders als etwa in den Fällen der satirischen Verwendung von Bildnissen oder des Namens von Prominenten zu Werbezwecken (vgl. BGH v. 26.10.2006, 1 ZR 182/04, juris) – nicht um eine satirische Auseinandersetzung mit dem Verhalten (oder der Stimme) des Klägers oder von …, sondern die Bekanntheit der Stimme des Klägers soll die Videos attraktiver machen und so möglichst viele Internetnutzer anziehen. Davon soll der Web-Shop des Beklagten, auf den am Ende der Videos jeweils verwiesen wird, profitieren. Die Verwendung der Stimme des Klägers dient damit letztlich der Steigerung von Klickzahlen und Umsatz des Beklagten, so dass die kommerzielle Nutzung im Vordergrund steht.
bb) Dass der Kläger in die Nutzung seiner Stimme eingewilligt hat, ist nicht vorgetragen. Ob der Beklagte gegenüber dem Anbieter der KI für die Nutzung bezahlt und ein entsprechendes Nutzungsrecht erworben hat, ist irrelevant ist, da nicht vorgetragen ist, dass der Kläger gegenüber dem Anbieter der KI seine Einwilligung in die Herstellung einer entsprechenden KI-Stimme und deren Weitergabe an Dritte zu werblichen Nutzungszwecken erteilt hat.
cc) Der Eingriff wiegt auch deshalb schwer, weil neben der unberechtigten werblichen Nutzung der Stimme bei den Betrachtern der Videos der Eindruck entstehen kann, der Kläger identifiziere sich mit den Videos des Beklagten und seinen Waren und habe deshalb seine Stimme zur Verfügung gestellt. Das kann sich auf das Ansehen des Klägers bei Menschen, die nicht dem politisch angesichts der angebotenen Produkte wie „woke zero“-T-Shirts offenbar eher rechts einzuordnenden Beklagten nahestehen, negativ auswirken. Es fehlt zudem an einer Kennzeichnung, dass es sich um eine KI-generierte Stimme handelt.
dd) Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Stimmennutzung sei von der Meinungs- oder Kunstfreiheit der Art 5 Abs. 1, Ab. 3 GG gedeckt und überwiege das Interesse des Klägers an dem Recht an seiner Stimme. Zwar ist richtig, dass wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts seine Reichweite nicht absolut festliegt, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Diese Abwägung fällt hier aber zu Gunsten des Klägers aus. Wie oben unter aa) dargelegt, dient die Nutzung der Stimme des Klägers gewerblichen Zwecken. Der Beklagte wird, indem ihm ohne Einwilligung die Nutzung der Stimme des Klägers untersagt wird, nicht in seinem Recht eingeschränkt, sich in Videos satirisch und kritisch mit der Politik der Bundesregierung auseinanderzusetzen. Auch wenn man § 23 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 KUG hier analog anwendet, bleibt die Nutzung der Stimme rechtswidrig, da weder ein zeitgeschichtliches Ereignis noch Satire oder Kunst vorliegen. Es kann dahinstehen, ob auch im Anwendungsbereich der Kunstfreiheit die Verbreitung einer geklonten Stimme ohne Einwilligung stets unzulässig ist, wenn die Veröffentlichung den Eindruck erweckt, es handele sich um tatsächliche Äußerungen des Geklonten (so Ellenberger, a.a.O., S. 605). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, überwögen die berechtigten Interessen des Klägers, seine Stimme nicht ohne finanzielle Entschädigung für kommerzielle Interessen Dritter herzugeben, § 23 Abs. 2 KUG analog.
ee) Zu keinem anderen Ergebnis führt es, wenn man die Verbreitung von KI-erzeugten Stimmen auch dem Anwendungsbereich der Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 DS-GVO ansieht (Engel-Bunsas, Recht an der eigenen Stimme in Zeiten von Deepfakes, Rdi 2025, 292, 293). Diese ist nur dann rechtmäßig, wenn eine Einwilligung vorliegt (was hier nicht der Fall ist) oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand einschlägig ist (Art 6 Abs. 1 b) – f) DS-GVO). Auch Art 6 Abs. 1 f) DS-GVO sieht aber vor, dass die Verarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich sein und nach Durchführung einer Interessenabwägung die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Das ist aber, wie oben dargelegt, nicht der Fall. Auch eine Privilegierung zu künstlerischen oder journalistischen Zwecken gemäß Art. 85 DS-GVO ist nicht einschlägig.
c) Die fiktive Lizenzgebühr, die von dem Beklagten als Wertersatz für die eingetretene Bereicherung zu leisten ist, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit jeweils 2.000 € pro Videoclip zu bemessen.
aa) Nach der Rechtsprechung des BGH für die unberechtigte Bildnisnutzung zu Werbezwecken zeigt, wer das Bildnis eines Dritten unberechtigt für kommerzielle Zwecke nutzt, dass er dem Vorgang einen wirtschaftlichen Wert beimisst. An der damit geschaffenen vermögensrechtlichen Zuordnung muss sich der Verletzer festhalten lassen und einen der Nutzung entsprechenden Wertersatz leisten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Abgebildete bereit und in der Lage gewesen wäre, die Abbildung gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr zu gestatten; denn der Zahlungsanspruch fingiert nicht eine Zustimmung des Betroffenen, er stellt vielmehr den Ausgleich für einen rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositionsbefugnis dar. Nicht anders als im Fall einer als Schadensersatz zu zahlenden fiktiven Lizenzgebühr ist deren Höhe auch im Rahmen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs vom Tatgericht gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen. Zu fragen ist, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 – 1 ZR 120/19 -, juris Rn. 58ff. m.w.N.).
bb) Diese Rechtsprechung ist auch auf die Nutzung der Stimme eines Dritten zu Werbezwecken anwendbar. Wie oben unter 1. a) dargelegt, schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht an der eigenen Stimme. Auch der Stimme kann – wie hier – ein Vermögenswert zukommen, über den nur der Inhaber des Rechts verfügen kann. Wer sich durch die Verwendung einer bekannten Stimme eines Prominenten oder des Synchronsprechers eines Prominenten, sei es durch eine KI oder durch einen Stimmenimitator, einen kommerziellen Vorteil verschafft, muss sich ebenfalls an der dadruch geschaffenen vermögensrechtlichen Zuordnung festhalten lassen (vgl. zur Vergleichbarkeit des Eingriffs in das Recht am eigenen Bild und des Rechts an der eigenen Stimme bereits OLG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 9).
c) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist von einer angemessenen Lizenzgebühr von mindestens 2.000 € pro Video auszugehen. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen …, der den Kläger schon seit Jahren für Aufträge vermittelt, ist der Kläger die bestgebuchte Werbestimme in Deutschland. Die Mindesthonorare fangen seinen Angaben nach bei Werbung mit Bild (also wie hier bei einem Video) ab ca. 1.800 € bei einer begrenzten Nutzung an. Hier ist werterhöhend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Youtube-Kanal des Beklagten mit 190.000 Abo-nennten nicht um einen kleinen Kanal handelt. Auch lag keine vereinbarte zeitliche Befristung der Stimmennutzung vor. Die Aussagen des Zeugen erscheinen vor dem Hintergrund, dass die Stimme des Klägers als … sehr markant und Filme mit … sehr bekannt sind, plausibel. Gegen die geltend gemachte Lizenzgebühr von jeweils 2.000 € bestehen daher keine Bedenken; eine höhere Lizenzgebühr hat der Kläger nicht verlangt (§ 308 ZPO).
2. Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gilt Folgendes:
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – VI ZR 196/11 -, juris Rn. 8 m.w.N.).
b) Hier war es aus Sicht des Klägers erforderlich und angemessen, einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Rechte wegen der Verwendung seiner Stimme durch den Beklagten zu beauftragen. Da die Verwendung seiner Stimme rechtswidrig war (siehe oben unter 1.) und der Beklagte dies auch hätte erkennen können, er also auch schuldhaft handelte, ist der Beklagte gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m Art 2 Abs. 1,1 Abs. 1 GG zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Hier war die konkrete anwaltliche Tätigkeit angesichts der Begründetheit von Abmahnung und Zahlungsanspruch zweckmäßig; auch begegnet die Abrechnung nach einem Gegenstandwert von insgesamt 24.000 € für Abmahnung und Zahlungsanspruch keinen Bedenken. Das ergibt bei einer 1,3-Gebühr gemäß Nr. 2300 W RVG a.F. zuzüglich Auslagenpauschale 1.156,20 € netto. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, die Kosten bereits bezahlt zu haben.
3. Zinsen kann der Kläger gemäß §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB allerdings nur in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz verlangen, da es sich nicht um eine Entgeltforderung i.S.d. § 288 Abs. 2 BGB handelt (vgl. Grüneberg-Grüneberg, 84. Aufl., § 288 BGB Rn. 8, 286 BGB Rn. 27 m.w.N.). Auch besteht ein Zinsanspruch jeweils erst ab den tenorierten Zeitpunkten aufgrund der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers jeweils gesetzten Zahlungsfristen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
5. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
Auf das Urteil hingewiesen hat die hervorragende Rechtsprechungs-Plattform OpenJur, nämlich hier.
LG Darmstadt, Urteil vom 30.06.2025, AZ. 18 O 20/25
§ 88 Abs. 1 ZPO
Das LG Darmstadt hat entschieden, dass das Fehlen einer Vollmacht in der mündlichen Verhandlung über eine einstweilige Verfügung nicht verfahrensschädlich ist, sondern die Vollmacht vielmehr nachgereicht werden könne. Dabei reiche auch der Scan einer in Papierform errichteten Vollmachtsurkunde, der als elektronisches Dokument im Sinne von § 130a ZPO zur Akte gereicht werde. Das Landgericht Darmstadt verwies auf die Rechtsprechung auch OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss vom 11.2.2021, Az. 12 U 202/20; LG Berlin II, Urteil vom 06.01.2025, Az. 2 O 325/24; Piekenbrock, in: BeckOK-ZPO, 56. Edition, Stand: 1.3.2025, § 80 Rn. 13a. a.A. hinsichtlich der notwendigen Form der Vollmacht: OLG Köln, Urteil vom 29.9.2022, Az. 15 U 43/22).